Kolumne In Fußballland: Stadion des Grauens
Die LTU-Arena in Düsseldorf ist eine knallbunte, überdimensionierte Messehalle, in die ein Rasen gepflanzt wurde.
Ich weiß jetzt nicht, was schlimmer ist, das mit den Sitzen oder die Sache mit der geheimnisvoll fehlenden Lautstärke. Wobei man auch über den Bodenbelag reden könnte, vom Rasen ganz zu schweigen und von der Heizung. Außerdem bleibt die Frage, wie man ein so schlimmes Stadion auch noch an die Stelle eines Vorgängers bauen kann, der schon so unsäglich war, dass man dessen Sprengung nur begrüßen konnte. Und es ist auch kein Wunder, dass über den Bau von diesem Ding ein Bauunternehmer pleite ging und eine Rathauskoalition geplatzt ist.
Aber wenn es um Stadien geht, ist Düsseldorf wie ein Vater, der seiner Kleinfamilie für den Sonntagsausflug einen Reisebus kauft. In der Landeshauptstadt gibt es keinen Klub, der ein Stadion für über 50.000 Zuschauer braucht, trotzdem wurde es zwischen 2002 und 2005 dorthin gebaut, wo schon der Vorgänger Rheinstadion, in dem sogar 70.000 Menschen Platz fanden, nicht funktionierte. Ein Fußballstadion im Industrie- oder Gewerbegebiet vor den Toren der Stadt ist eben immer trostlos, aber die Nachbarschaft eines Messegeländes macht die Sache besonders schaurig. Übertreffen kann man die Trostlosigkeit jedoch, wenn das Stadion wie eine Messehalle aussieht.
Ist das hier die LTU-Arena, fragt man sich, wenn man direkt vor ihr steht, oder ist es Halle 4 und der Caravan Salon? Denn man sieht das Stadion nicht nur nicht, man hört es auch nicht. Das liegt nicht etwa an der Fortuna und ihren vielleicht zu schweigsamen Fans. Auch bei Spielen der Nationalmannschaft, wo es aufgrund durchgehender Terrorbeschallung immer unfassbar laut zugeht, dringt kein Ton nach draußen. Ist eben eigentlich kein Stadion, sondern eine Halle, in der man das Dach aufmachen kann, wo irgendwelche Verrückte in die Mitte einen Rasen gepflanzt haben. Weshalb das Grün vor lauter Depression auch schneller abstirbt, als man "Benzinmäher" sagen kann.
Der Journalist erlebt zusätzliche Entfremdung noch dadurch, dass er die Arena durch ein Gedärm von Parkhäusern und endlosen Gängen betritt, in denen man immer wieder befürchten muss, die Gerippe von Menschen zu finden, die auf dem Weg nach draußen gescheitert sind. Aber man kann auch eine Stunde vor Anpfiff eines Länderspiels den Bundestrainer treffen. "In der Kabine ist niemand", sagte Löw, aber vielleicht wollte er auch nur eine rauchen gehen. Oder diesem Bodenbelag mit den roten Pünktchen im grauen Einerlei entfliehen. Ein Bekannter schaute kopfschüttelnd auf den Boden und sagte streng: "Billig!" Auf dem Weg zur Pressetribüne betritt man einen Lift, der sich so ächzend in Bewegung setzt, dass man zum ersten Mal im Zusammenhang mit einem Aufzug das Wort "Seelenverkäufer" denkt.
Aber wie soll auch Soul sein in einer Bude, die man beheizen kann. Und zwar nicht so dezent und lau, wie es der momentane Logiergast Bayer Leverkusen in seiner BayArena machte, wo Heizstrahler vom Tribünendach wärmten. Im Hallenstadion am Rhein schwitzt man sogar im Winter, weil man richtig die Heizung anmachen kann. Warum geheizt wird? Damit sich der sterbende Rasen endgültig in eine faulende, stinkende Pampe verwandelt und die Heimmannschaft das Spiel gewinnt, weil sie das weiß und Gasmasken aufsetzt.
Zumindest könnte man von allen Plätzen aus gut sehen kann, wenn da nicht diese bunten Sitze ablenken würden und ständig auf die Lautsprecherdurchsage wartete: "Der kleine Big Bruno möchte von seiner Mutter im Kinderparadies abgeholt werden." Die Sitze im Stadion sind nämlich so bunt gewürfelt wie die Kugeln im Ikea-Spielplatz. Damit soll darüber hinweggetäuscht werden, dass die Plätze leer sind. Womit klar ist, dass man das schon beim Bau wusste. Welche Hellsichtigkeit! So wird dieser Ort des Grauens ab dem Sommer Esprit Arena heißen, und selbst der abgefeimteste Gagschreiber wäre wohl kaum auf einen besseren Namenssponsor gekommen.
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