Kolumne: Immer bereit!: Im Epizentrum des Karnevals
Manche knutschen, manche schlafen, einige singen, viele trinken.
L etztes Wochenende war ich in Köln. Ihr macht euch keine Vorstellung! Ich musste arbeiten dort und der Termin ließ sich nicht verschieben. Schon auf der Fahrt begegnete mir ein kleiner Schwarm sehr höflicher Männer in Kükenkostümen. Sie standen im ICE-Bordbistro und tranken Bier. Man kann von der ganzen Sache halten, was man will, ich fand es komisch. In jedem Sinne. Auch ohne zu feiern. Zwei Tage lang war ich im Epizentrum des Karnevals unterwegs. Ein Wochenende auf der Schwelle zwischen Angst, Fremdscham und großer Belustigung.
Samstagnacht zu Sonntag, zwei Uhr, bin ich angekommen in der Stadt am Rhein.
Der ganze Hauptbahnhof ist voll mit Menschen. Manche knutschen, manche schlafen, einige singen, viele trinken. Alle sind verkleidet. Außer denen, die sich die Kleidung schon gegenseitig vom Leib gerissen haben. Und mir.
„Mädchen, wo kommst du denn her?“, fragt mich ein Napoleon um die fünfzig am Ende der dreißig Meter langen Warteschlange am Taxistand. Der Dom erhebt sich dunkel in die Nacht. „Aus Berlin“, sage ich. „Aus Berlin?“, wiederholt er und schwankt ein wenig. Er wendet sich an seinen Vordermann. „Habt ihr das gehöööört“, ruft er, „das Mädchen kommt aus Berlin!“ Bewegung in der Menge. Ein Superman dreht sich zu mir um und mustert mich von oben bis unten. Genau so, wie die Berliner mich in den Neunzigern immer gemustert haben, als ich noch Hippie war. „Is Fasching heute, oda watt?“, polterten sie damals angesichts meiner Second-Hand-Klamotten.
„Das sieht man, dass du aus Berlin kommst“, sagt Superman. „Wieso ’n?“, frage ich. „Du schaust so diszipliniert“, sagt er.
Ich finde die Jecken sympathisch. Wirklich. Am Anfang der Warteschlange stehen Männer in neongelben Westen. Sie sortieren die Menschen in die ankommenden Taxis.
Mir fällt ein, wie ich neulich Nacht mal aus Kreuzberg mit dem Taxi nach Hause bin, zusammen mit einer Bekannten, die in der Schönhauser Allee wohnt. „Erst mal nach Prenzlauer Berg“, sagten wir, als wir einstiegen. Der Taxifahrer war sehr jung und begann sofort, hektisch auf seinem Navi rumzutippen. „Welche Nummer?“, fragte er zurück. Kurz überlegten wir, direkt wieder auszusteigen. Aber die Nacht war kalt und wir betrunken. „Fahrn Se mal“, sagten wir deshalb, „wir kennen den Weg.“
In Köln kannte ich gar keine Wege, was umso aufregender war, weil zu Karneval sämtliche Kölner Bus- und Bahnlinien umgeleitet werden oder unterbrochen sind. Vier Stunden hab ich gearbeitet am Sonntag. Genauso lang bin ich durch Köln gefahren, gelaufen, hab auf Anschlüsse und Taxis gewartet oder Haltestellen gesucht.
„Wo geht’s denn hier zum Zug?“, fragte mich eine Einhornfamilie mit violetten Flügelchen an einem Bahnhof im Kölner Umland. „Welcher Zug?“, fragte ich. „Na, der Karnevalszug“, sagte Mutter Einhorn ungeduldig.
Rosenmontagabend bin ich zurückgefahren aus Köln. Immer wieder mussten die Bahnhofsrolltreppen gestoppt werden, weil die Jecken den Bahnsteig blockierten. Neben mir im Zug saß ein Mann, der eigentlich in den ICE nach Hamburg hatte einsteigen wollen, aber in dem Moment, als der einfuhr, genau zwischen zwei Türen am Gleis stand. „Ich bin einfach nicht durchgekommen“, erzählte er der Schaffnerin. Die lächelte nur milde. Um an Rosenmontag Fahrkarten zu kontrollieren, braucht man ein Gemüt wie ein Schaukelpferd.
„Wissen Sie, ob das Klo auch außer Betrieb ist“, fragte ich sie ein paar Stunden später. Es war nach 22 Uhr. Zwei Toiletten waren als „unbenutzbar“ gesperrt, drei weitere besetzt, bei der vierten war ich mir nicht sicher. Die Schaffnerin auch nicht. „Keine Ahnung“, sagte sie, „heute brauchen alle ein bisschen länger. Vielleicht gehen Sie lieber durch in die erste Klasse.“ Auf dem Weg dorthin sah ich noch einen Schwarm bärtiger Biene Majas. Sie schliefen friedlich ihren Rausch aus.
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