Kolumne Idole: Ein echter Naturgott
Totoro ist ein japanisches Idol. Aber was hat er mit alten Kippen und kaltem Fisch zu tun?
I ch bin noch ein bisschen müde, denn ich bin gerade erst aus Japan zurückgekommen. Dort habe ich viele Mundschutze gesehen, shintoistische Fuchs-Schreine und Betonmischer, klein wie Kleinwagen.
Kirsten Reinhardt arbeitet in der Online-Redaktion der taz.
Und viele Totoros. Nicht in echt natürlich, denn nur Kinder können Totoro sehen. In Japan gilt die frühe Kindheit als heilig. Bevor man in die Mühlen des Bildungssystems und die Reglements der Gesellschaft überhaupt gerät, darf man frei und ungestört sein.
Die Totoros, die ich gesehen habe, waren also bloß Stofftiere, Aufdrucke auf Tassen oder in einer Zeitschrift die Antwort auf die Frage "Was willst du werden?". Totoro ist ein Waldgott und die Hauptfigur in dem Zeichentrickfilm "Mein Nachbar Totoro". Den hat Hayao Miyazaki 1988 mit seiner Firma Studio Ghibli produziert.
Seitdem ist er nicht nur das Ghibli-Logo, sondern das Idol einer ganzen Nation. Alle finden Totoro "kawai" (sprich: süß), obwohl er etwas ganz anderes ist. Aber mal der Reihe nach.
Studio Ghibli ist das beste Zeichentrickfilmstudio der Welt. Vergesst Pixar, 3-D-Animation und den ganzen Qatsch. Ghibli, das ist "Prinzessin Mononoke", "Das wandelnde Schloss" und "Chihiros Reise ins Zauberland". Und: Totoro. Ein riesiges, flauschiges, dickbäuchiges Wesen mit einem unglaublichen Grinsen. Und ziemlich langen Krallen.
Es wohnt in einer Höhle in einem gigantischen Kampherbaum bei einem verlassenen Shinto-Schrein. Ein junger Professor zieht mit seinen Töchtern Mei und Satsuki in ein verlassenes Haus in der Nähe und die Mädchen schließen die Bekanntschaft mit dem Waldgeist.
Was das Tolle an Totoro ist? Man weiß es nicht so recht. Er ist nämlich nicht süß, sondern ein bisschen verquer und sehr kreatürlich. Er spricht nicht, sondern guckt ein bisschen, schläft gern und gähnt fürchterlich laut. Ein echter Naturgott - weder gut noch böse.
Und dann gibt es in "Mein Nachbar Totoro" noch den Katzenbus. Eine riesige Katze, in der man auf Fellbänken sitzen kann. Den habe ich auf meiner Reise auch gesehen. Er parkt im ersten Stock des Ghibli-Museums in Tokio, und zwei uniformierte Aufseherinnen wachen darüber, dass auch jedes Kind einmal drin spielen kann.
Ich hätte mich auch gern in den Katzenbus gelegt und ein bisschen geruht, nach einer Woche japanischen Frühstücks. Das ist, als würde man eine Hafenbohle ablecken: Vom Tablett starrt einen ein am Vortag gekochter Fisch trübsinnig an, dazu gibt es geröstete Algen, Misosuppe und kaltes Spiegelei. Ich war also nicht bester Verfassung, als wir uns durch die knallvollen Gänge des Ghibli-Museums schoben.
Ein gigantischer Stoff-Totoro saß gleich vorne im Kassenhäuschen und wurde von allen Seiten panisch abgelichtet, denn im Museum selbst ist fotografieren verboten. Drinnen waren Miyazakis Arbeitsräume nachgebaut - der Mann lebt und arbeitet ja gottlob noch und braucht sein echtes Arbeitszimmer selbst.
Am meisten beeindruckt hat mich dabei ein Aschenbecher voll alter Kippen, der auf dem Schreibtisch stand. Ob Miyazaki die extra geraucht und dann dem Museum überlassen hat? Oder mussten die Ghibli-Museum-Mitarbeiter ran? Wie ist das eigentlich arbeitsrechtlich und gesundheitstechnisch?
Schon Wahnsinn, was dieser Waldgott so angerichtet hat. Da besichtigen Leute einen vollen Aschenbecher und ertragen sogar eine Woche kalten Fisch zum Frühstück. Nur um Totoro aus Stoff zu sehen, weil sie, erwachsen geworden, den echten nicht mehr sehen können.
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