Kolumne Idole: Blutige Beißer, ade
Einst war Vampir-Sein mein Berufsziel. Heute sehe ich "Twilight" und weiß nicht weiter.
Rüdiger von Schlotterstein, Vlad Tepes alias Dracula, Graf von Krolock und sein Sohn Herbert, der Rockergang-Chef David, Lestat und Louis de Pointe du Lac, Desmodus. Es hat schon viele Vampire in meinem Leben gegeben. Als Kind hoffte ich, eines Tages einer von ihnen zu werden. Ich benutzte einen schwarzen Rock als Umhang, färbte mein Gesicht mit Penatencreme, lief mit Vampirzähnen vom Jahrmarkt herum, in denen sich bereits nach zehn Sekunden die Spucke sammelte, und wünschte mir zu Weihnachten einen Sarg. Dieser Wunsch blieb mir versagt, doch jetzt liegt mir nicht mehr viel daran, das kommt noch früh genug. Und Vampir will ich auch nicht mehr werden. Ich fühle mich zu alt für die Unsterblichkeit. Das hätte schon passieren müssen, als ich 18, 19 war.
Als Kind war es ja vor allem das Fliegen, was mich an Vampiren faszinierte. Und: dass man keine Angst mehr vor irgendwelchen Monstern haben musste - schließlich wäre man ja selber irgendwie eins. Später kam dann eine verklemmt-romantische Seite dazu. Dieses ganze Beißen und Begehren und Irgendwie-doch-nicht-richtig-Können. Klassische Pubertätsliteratur.
Kirsten Reinhardt ist taz.de-Redakteurin.
Angesichts Draculas musste man zittern, über Roman Polanskis Grafen Krolock mit seinem schwulen Sohn Herbert ("Tanz der Vampire") konnte man lachen. Kiefer Sutherland als cool-bösen David in dem Teenie-Horrorfilm "The Lost Boys" konnte man bewundern und fürchten. Und dann kamen die 90er mit Lestat und Louis de Pointe du Lac. Die US-amerikanische Reihe über den Vampir Lestat war ja im Grunde nicht auszuhalten. Ein Groschenroman. Doch im Film war Tom Cruise der böse Blutsauger, trug Schuhe mit Absätzen (die natürlich kaschiert waren) und übertraf damit den stets glatt gekämmten und vor sich hin leidenden Brad Pitt als Vampir-Vegetarier, der weinend in Ratten biss. Kirsten Dunst begann ihre Hollywood-Karriere, ich trug fortan weinrote Samtjacken und das, was ich unter "Vampirschuhen" verstand. Auch meine Make-up-Künste waren ausgeklügelter geworden.
Heute hingegen freue ich mich über Desmodus. Einen alten, unglücklichen Vampir aus der Feder des französischen Comic-Zeichners Joann Sfar. Aus unerwiderter Liebe zu einer Frau gewordenen Mandragora versucht er, sich aufzuhängen. Das klappt natürlich nicht und so verjüngt er sich, um als Vampir-Junge vor der Liebe gefeit zu sein, und lebt in einem Haus voller Monster. Toll.
Und dann war ich neulich in der Videothek und konnte nicht an dieser "Twilight"-DVD vorbeigehen. Hype hin oder her, es geht um Vampire, und meine alte Leidenschaft zwang mich zur Ausleihe. Ich war auf den allerletzten Schrott gefasst und habe mich sehr unterhalten gefühlt, Als High-School-Komödie ist dieser Film wirklich nicht zu verachten. Nur etwas hat mich gestört. Das Prinzip der vorherbestimmten Liebe ("Bella + Edward = Love 4ever!"), das das Konstrukt der ganzen Geschichte bildet. Diese romantische Selbstaufgabe, das langweilt mich.
Und so habe ich mir die ganze Zeit Fragen gestellt, die ich mir nicht beantworten konnte: Warum geht ein 109-jähriger, mit Superfähigkeiten ausgestatteter Vampir in die Schule, in der nur Idioten herumhängen? Wie kann es angenehm sein, einen eiskalten Menschen zu küssen? Kann ein Vampir eine Erektion bekommen? Wer will Sex mit einem eiskalten Untoten?! Wenn Bella ihre Tage hat, muss sie sich von Edward fernhalten? Und warum finden alle den Edward-Cullen-Vampir-Darsteller so toll? Viel mehr als melancholisch-leidend dreinblicken tut er doch während des ganzen Films nicht. Wer weiß Rat?
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