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Kolumne GeschöpfeNur Macheten, sonst nichts

Eine zufällige Begegnung mit der Welt, wie sie jenseits unserer lustigen Luxusproblemchen wirklich ist.

Bild: taz

Arno Frank (36) ist taz-Redakteur. Er kann lesen und schreiben. In seiner Freizeit spielt er gerne Flipper, hört schlechte Musik, schaut sich gute Pornos an und raucht. Selbstgedreht, versteht sich

Wenn man nicht innehält und darauf lauscht, dann ist für Menschen unserer Breiten das Wüten der Welt absolut geräuschlos, wie weggefiltert, ausgeblendet.

Dabei fände man, hielte man Augen und Ohren offen, das Entsetzen wohl überall - aber ganz gewiss nicht an Bord einer Boeing 747 auf dem Weg von Paris nach Los Angeles. Selbst in der zweiten Klasse scheinen sich dort nur lässige, coole und leicht gelangweilte Kosmopoliten zu versammeln, die irgendwas extrem Wichtiges "in den Staaten" zu tun haben. Ich zum Beispiel war unterwegs zu einem extrem wichtigen Interview mit einer extrem wichtigen Rockgruppe. Der Typ links neben mir stellte sich als Kunsthändler vor, der in Beverly Hills eine Audienz bei einem extrem wichtigen Sammler habe: "Die Amerikaner fangen an, sich für Jonathan Meese zu interessieren. Ich persönlich halte Jonathan Meese ja für überschätzt, aber was will man machen?" Die Frau rechts neben ihm war, soweit ich das mitbekommen habe, ein österreichisches Fotomodel auf dem Weg zu ihren Eltern, die schon vor Jahren nach Kalifornien ausgewandert waren, wo sie ein Weingut besaßen: "Guter Rotwein ist das", meinte sie, "vielleicht der beste der Welt", weil es die Reblaus bekanntlich nie über die Rocky Mountains geschafft habe, ganz im Gegensatz zu ihr, die sich schon total auf das Treffen mit ihrem neuen Agenten in Hollywood freute, obwohl: "Diane Kruger heißt ja eigentlich Diane Heidkrüge. Für die Karriere hat sie ihren Namen geändert. Kommt für mich nicht in Frage, obwohl mein Agent darauf drängt", und so weiter, blabla.

Umso seltsamer fand ich den jungen Mann, der direkt rechts neben mir saß. Er sprach von Irland bis Neufundland kein Wort. Auch als über Quebec das Licht gelöscht wurde und ein allgemeines Schnarchen einsetzte, hockte er weiter aufrecht und mit offenen Augen neben mir. Wenn er sich bewegte, etwa um das Tablett entgegenzunehmen, dann tat er das merkwürdig straff und zielgerichtet, als stünde er unter einer inneren Dauerspannung. Ich studierte sein ebenmäßiges, irgendwie asiatisches Gesicht von der Seite. Schauspieler war der bestimmt nicht. Sportler? Schon eher. Amerikaner? Gewiss nicht. Sympathisch? Auf jeden Fall. Erst beim Landeanflug begegneten sich unsere Blicke, und da lächelte er freundlich und fragte höflich auf Französisch, ob es denn kalt sei in diesem Los Angeles. Er selbst kenne die Stadt nicht und fliege nach einem Zwischenstopp weiter, noch mal acht Stunden, nach Polynesien, nach Hause. Er sei vier Jahre bei der Fremdenlegion gewesen, seit seinem 18. Lebensjahr, und jetzt, nachdem er genug von der Welt gesehen habe, freue er sich auf die Heimat, die er als halbes Kind verlassen hatte. Als er merkte, dass ich das für einen Scherz hielt, holte er ein kleines Fotoalbum aus dem Handgepäck. Darin waren viele Bilder. Aus einer verschneiten Kaserne bei Nîmes. Aus dem Tschad. Und aus der Elfenbeinküste, eine Straße aus rotem Sand und viel Dschungel: "Das hier war unsere Straßensperre", erklärte er stolz, "und unter diesem Baum haben wir gekocht. Und das hier", er deutete auf einen blonden Hünen in einem Geländewagen, bewaffnet mit einer Maschinenpistole, "das war mein Vorgesetzter, Stefan. Er kam aus Ostdeutschland und hat uns schöne Chansons beigebracht", sagte er und summte die Melodie von "Vorwärts, Legionäre". Ein altes Wehrmachtslied.

Ob das nicht na ja, gefährlich sei, da in Afrika? Er winkte ab: "Na ja, geht so. Da, wo ich im Einsatz war, hatten die Rebellen nur Macheten, sonst nichts".

Dann setzte die Maschine auf.

Erst als er aufstand, um sein Gepäck aus der Ablage zu holen, sah ich sein Gesicht von der anderen, mir bisher abgewandten, fürchterlich entstellten Seite: Denn da lief, wie eine zornige Hieroglyphe, rosig und frisch verheilt, eine grotesk wulstige Narbe vom abgehackten Ohr bis tief in den Mundwinkel.

Später, bei meinem extrem wichtigen Interview, fragte ich mich die ganze Zeit: Was für einen albernen Wohlstandsquatsch mache ich hier eigentlich? Eine gute Frage. Ich stelle sie mir seitdem fast jeden Tag.

Fragen zur Legion? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE

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