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Kolumne GerüchteDie Stunde der hängenden Lider

Wer seinen Fernsehkonsum einschränken will, kaufe sich einen Flachbildschirm. Ich habs ausprobiert.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

Jeden Abend kommt die Stunde der "hängenden Lider" - die Küche ist aufgeräumt, die Kinder ruhen im Bett, ich selbst wünsche mir auch eine liegende Position, aber noch nicht schlafend. Also lesen? "Eine Frage der Zeit", historischer Roman von Alex Capus, habe ich gerade durch. Na ja, mit Schummelei. Lange Romane lese ich zu zwei Dritteln durchgehend, dann überfliegend. Also Fernsehen?

"Flachbildschirm" - Christoph hatte die Idee. Ein "Flachbildschirm", das sei ein neues Fernsehgefühl, "hochauflösend, da siehst du alles viel schärfer, viel realer". Das mit dem Scharfsehen ist ja so eine Sache. Ich erinnere mich, wie ich mir mal weiche Kontaktlinsen zulegte, für meine beidäugig eine Dioptrie. Doch damit sah ich plötzlich am nächsten Tag alle Teilnehmer einer Laber-Verhandlungsrunde irre scharf. Zu hoch aufgelöst. Auf dem Klo pulte ich mir die Kontaktlinsen aus den Augen. Seitdem liebe ich eine gewisse Unschärfe im Leben.

Trotzdem steht jetzt der "Flachbildschirm" vor meinem Bett. Philipps, Sonderangebot, knapp über 300 Euro. Zu allem Überfluss läuft auch noch die "Truman Show", dieser Film, wo der Hauptdarsteller gar nicht weiß, dass er nur Teil einer großen Show ist, er merkt es schließlich, als er gegen den Horizont stößt und nicht weiterkommt. Der Fernseher sieht aus, als hätte ich mein Laptop aufgeklappt. Ein großes Laptop. Dabei ist doch Feierabend.

"Es ist alles ein bisschen zu scharf - und zu flach", sage ich zu Christoph. Früher, in den Sechzigerjahren, hatte meine Großmutter einen Fernseher, ein Riesending, es gab nur ein erstes Programm, in Schwarz-Weiß. "Lassie". "Raumschiff Orion". Irgendwie dachte ich immer, die Figuren auf dem Bildschirm lebten wirklich in dem schwarzen Kasten. Groß genug war er ja, um diesen Wesen Platz zu bieten. So wie mein Puppenhaus, in dem es sich meine Teddys und Puppen gut gehen ließen. "Jetzt weiß man endgültig, dass es die Figuren auf dem Schirm nicht gibt", sage ich zu Christoph träumerisch, "denn hinter dem Bild ist kein Raum mehr. Da ist nichts."

Vielleicht habe ich ja auch eine innere Abwehr: Am Nachmittag habe ich eine Werbe-E-Mail eines Wanderreithofs im Havelland gelesen, die Inhaberin warb für einen "Sauwetter-Ritt", wobei man zum günstigen Preis drei Tage durchs nasskalte Novemberwetter reiten darf, "für Leute, die nicht mit Winter-Depri vor dem Flachbildschirm hängen wollen", hieß es. Ja, zu den Deprimierten will man nicht dazugehören.

"Flachbildschirm" - ist nicht der Name schon verräterisch? Habe ich nicht als Kind im richtigen Kastenfernsehen den Physikprofessor Haber erklären hören, dass die "Flachländer" nur in den ersten zwei Dimensionen leben, nämlich in Länge und Breite, während das richtige Leben, unsere Welt, erst mit Höhe und Tiefe beginnt? Der Sprung von der zweiten in die dritte Dimension sei so ähnlich wie der Sprung von der dritten in die vierte Dimension, erläuterte der Professor. Wer nur in den niederen Dimensionen aus Länge und Breite herumschiebe, der wisse gar nichts von Raum und Zeit.

"Flachköpfe" trinken aus "Flachmännern", liegen vor "Flachbildschirmen" und lesen natürlich nicht Winterromane wie "Die Tiefe" von Henning Mankell. "Die Mona Lisa ist auch flach", gibt Christoph auf meine Wortbetrachtung hin zu bedenken, "Bilder sind flach, Bücher sind flach." Die Truman Show endet bewegt. Ich habe mal wieder die Hälfte nicht mitgekriegt.

"Wer sagt denn, dass die Menschen nicht im Flachbildschirm leben können?", mailt mir Tochter Charlotte anderntags aus den USA auf meine Frage, "die Leute beim Fernsehen sind doch so dünn, die passen auch in einen Flachbildschirm".

Meiner allerdings bleibt jetzt öfter schwarz. "Fernsehen" - auch das Wort stimmt ja nicht mehr. Wo doch alles jetzt so nah und scharf ist. "Aber im Zimmer macht er sich gut", sagt Christoph, "nimmt nicht so viel Platz weg wie der alte." Stimmt. Nur schade, dass man den Bildschirm nicht zuklappen kann wie ein Laptop. Wenn alles getan ist und ich endlich flachliege.

Fragen zum Bildschirm? kolumne@taz.de Morgen: Martin Unfried mag ÖKOSEX

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