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Kolumne GerüchteLieber Flugzeuge als Haschischdealer

Meine Nachbarn kämpften gegen den Flughafen Tempelhof, doch jetzt wollen sie ihn behalten - als Bollwerk.

Bild: privat

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz.

An jenem Dienstag durchquerte ich zum ersten Mal bei Westwind den Vorgarten des kleinen Reihenhauses in Berlin-Tempelhof. Da erhob sich über dem dahinterliegenden Wohnblock ein riesiges Ungeheuer in die Luft. Mit viel Getöse stieg es höher und höher und donnerte über mich hinweg. So was hatte ich noch nie gesehen. Ich brach in Tränen aus. Denn wir hatten das Häuschen gerade gekauft.

Das war vor 17 Jahren. Und jeder, der schon mal im Stadium der Familiengründung auf Wohnungssuche war und ein preisgünstiges Reihenhaus in Zentrumsnähe besichtigte, im August, wenn in den Gärten die Vöglein zwitschern, der wird verstehen, warum man als Fluglaie an einem solchen Sonntag bei Ostwind nicht genauer nachfragt. Warum man sich nicht präzise erkundigt, ob denn an einem Werktag bei Westwind nicht doch Maschinen über das Häuschen donnern. Warum man sich zufrieden gibt mit der Auskunft des Hausverkäufers, dass auf dem Flugfeld "kaum noch was los ist" und "der Flughafen sowieso in Kürze dichtjemacht wird".

Einen Monat nach unserem Immobilienerwerb saß ich abends bei der Bürgerinitiative Flughafen Tempelhof. Nette Leute. Doch es war sinnlos. Denn in den folgenden Jahren wurde ich Ohrenzeugin, wie der Flugverkehr in Tempelhof expandierte. Ich las beklommen über "neue Flugverbindungen" nach Friedrichshafen, Riga und Vilnius. Ich lernte den Unterschied zwischen Startbewegungen auf der Nord- und Südbahn kennen. Und das akustische Gefälle zwischen Düsen- und Propellerflugzeug (es lebe der Propeller!). Ich stellte fest, dass der Bundesgrenzschutz über die dröhnendsten Hubschrauber verfügt, sodass jeder Grenzverletzer garantiert auf viele Kilometer im Voraus gewarnt wird und sich noch rechtzeitig in die Büsche verkriechen kann. Erstaunlich ist auch, wie nah ein Zeppelin über ein Wohnhaus fliegen kann.

In den ersten Jahren nach unserem Erwerb drehte noch ein hochrangiger Kommandant der US-Streitkräfte mit einem kleinen, unglaublich lauten Flugzeug seine Runden über die Dächer, stundenlang und bevorzugt an klaren Sommertagen. Im US-Militärbüro in Berlin hatten sie extra eine PR-Sprecherin abgestellt, um die empörten Anrufer immer wieder aufs Neue telefonisch zu beruhigen. "Ich bin Mrs Goodwin und zuständig für das Flugzeug, das heute fliegt", hatte sie sich mir am Telefon nach meinem Anruf vorgestellt. Ich weiß heute auch, wie der Briefkopf des Umweltsenators aussieht, der Anwohnerschreiben freundlich beantworten lässt.

Bald war ich Profi und konnte Vorfeldwummern, Startgetöse und Landungsgebrumme unterscheiden sowie das feine, geradezu adelige Summen eines Zeppelins am Himmel blind zuordnen.

Besondere Ereignisse blieben mir auch besonders in Erinnerung. Am Tag nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 starteten 100 Privatjets in Tempelhof. Wir verrammelten unser Haus, als hätten die Briten einen Luftangriff gestartet.

Den morgendlichen Startlärm der Maschinen baute ich in meinen Schlaf ein und träumte daher sommers bei offenem Fenster von Flugzeugabstürzen. Vollbesetzte Jumbos und brennende Hubschrauber zerschellten in unserem Gärtchen.

Wir haben so einiges erlebt mit dem Flughafen. Und die Überraschungen hören nicht auf. "Die K.s von weiter unten haben unterschrieben", erzählte mir Nachbar S. "Auch die F.s, die M.s und der ehemalige Ladenbesitzer aus der Manfred-von-Richthofen haben ihre Unterschrift abgegeben."

200.000 Stimmen sind für den Erhalt des Flughafens zusammengekommen, viele aus den angrenzenden Stadtvierteln. So funktionieren die Menschen also. "Die Leute sagen, sie wüssten ja nicht, was aus dem Flugfeld wird, wenn das mal mausetot ist", erzählt S. "Die haben Angst, dann kommen all die Dealer aus der Hasenheide rüber, das schwappt dann so in die Siedlung." Die Haschischdealer aus Neukölln sind zumeist Afrikaner. Und da scheint ein lauter Flughafen doch viel sicherer. Geradezu Heimat. So groß ist sie also, die Angst vor dem Unbekannten.

Auch das hätte ich mir damals, vor 17 Jahren, nicht träumen lassen.

Fragen zu Tempelhof? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über Klatsch

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