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Kolumne GeräuscheDer Urschreihals

Kolumne
von Arno Frank

Bei uns im Viertel stimmt etwas mit der Akustik nicht. Und das morgens zwischen 8 und 9 Uhr.

A aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah! Als ich den Schrei das allererste Mal hörte, überlegte ich ernsthaft, ob mal wieder Dreharbeiten sind bei uns im Viertel.

Die Männerstimme klang nicht entsetzt oder verängstigt, bloß kräftig und langgezogen und laut, und alle naslang bestrahlen doch "spannende Leute vom Film" tagelang die Fassaden mit Lichtwannen, legen armdicke Kabel über die Straßen und blockieren die Parkplätze mit ihren Wohn- und Lastwagen, nur um dann ein in Sekunden davongebraustes Fluchtfahrzeug abzufilmen. Da beendete schon der zweite Schrei meine von Ressentiments vergifteten Überlegungen, gefolgt von einem dritten und, jetzt schon etwas ausgepowert, einem vierten. Dann war Ruhe. Ich blickte auf den gelassen vor sich hin blinkenden Wecker: "8:20". Seitdem wird jeden Morgen geschrien, aus einem ohrenscheinlich offenen Fenster. Nicht so, dass man die Uhr danach stellen könnte, doch verlässlich zwischen 8 und 9 Uhr.

Wo die Leute aufeinanderhocken, dort gehen sie einander wenn schon nicht an die Gurgel, so doch gerne auf die Nerven. Ich persönlich bin da ziemlich tolerant. Im ICE habe ich einmal zwei Stunden neben einer Frau verbracht, aus deren Kopfhörern pausenlos die Obertöne der an Obertönen nicht eben armen Musik von Mötley Crüe schrillten. Kein Problem, so was steck ich weg. In der vollen U-Bahn kuschele ich mich sogar immer möglichst eng an Ohrstöpselträger - weil ich wissen will, was die Leute so hören (HipHop). Und seit Jahren rätsele ich, von welchem Nachbarn wohl die zaghaft perlenden Piano-Etüden stammen, die gerne an stillen Sonntagsnachmittagen tastend durch die Heizungsrohre unseres Mietshauses geistern. Aber gerade weil ich brüllende, sich überschlagende Männerstimmen oft auch zum persönlichen Genuss goutiere, geht mir der Schreihals in unserer Straße allmählich an die Nieren. Weil er dabei so gelangweilt, fast routiniert klingt.

Bild: taz

Arno Frank (36) ist taz-Redakteur. Er kann lesen und schreiben. In seiner Freizeit spielt er gerne Flipper, hört schlechte Musik, schaut sich gute Pornos an und erschlägt manchmal kleine Hunde.

Nun bin ich in Grundzügen mit der Urschreitherapie nach Arthur Janov vertraut, aber gibts das wirklich? Dass ein Arzt sagt: "Tja, bei Ihrer Neurose rate ich: Fahren Sie morgens raus ins Grüne an die frische Luft und schreien Sie ur!" - "Puh, das wird schwierig, Herr Doktor…" - "Warum?" - "Ich wohne im dicht besiedelten Nordneukölln, von dort ins Grüne brauche ich Stunden!" - "Neukölln? Mensch, dann brüllen sie doch einfach die Nachbarschaft zusammen, die ist eh schmerzfrei!"

Was tun? Klar könnte ich zurückschreien. Ich bliebe damit aber mutmaßlich nicht lange alleine, und bald klänge es in unserem Viertel wie unter verzankten Mantelpavianen im Dschungel von Uganda. Auch wenn ich nicht weiß, unter welcher psychischen Störung unser Urschreihals leidet, würde ich ihm doch hiermit wahnsinnig gerne ein anderes Heilmittel ver- oder besser noch vorschreiben: Jeden Morgen ein schönes körperwarmes Glas mit lecker Eigenurin auf ex. Wirkt Wunder!

Text: "Well trodden corridors into the valley of steeeeeeeeel" (Pink Floyd, "Sheep")

Musik: Das federnde Geboller eines 1.000er-Zweizylinders von Moto Guzzi im Leerlauf. Is so.

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Inlandskorrespondent

2 Kommentare

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  • FN
    Floda Nashir

    Ah! Moto Guzzi! Lecker!

  • F
    Feinfinger

    Text und Musik sind eine vortreffliche Wahl! Zu empfehlen ist auch Big Eyed Beans From Venus (Beefheart) in Kombination einer 850er Le Mans mit offenen Luftfiltern und Lafranconi Sportizione.

     

    Mister Zoot Horn Rollo, hit that long lunar note,

    and let it float.