Kolumne Geräusche: Was will eigentlich Musik, die nichts will?
Unter falschen Drogen klingt sogar ein Brian Eno auf Samtpfoten noch trampelig.
W ir hätten uns ja betrunken, wäre Alkohol im Haus gewesen. So aber verspeisten wir, mein teuerster Freund und ich, leichten Herzens einen Schwung spitzkegeliger Kahlköpfe. Und wer sich durch die Erregung postsynaptischer Membrane vermittels psilocybiner Pilze seine zentralnervösen Strukturen durcheinanderbringen lässt, den übermannen halt Zustände, auf die er nach einem regulären Steinpilzragout lange warten kann.
Irgendwann war uns die Musik, bis dahin sehr nett, viel zu sehr … da. Nichts gegen Sufjan Stevens, aber wir brauchten jetzt absolute Ruhe, also schalteten wir ihn aus. Leider war es damit nicht getan. Im Gegenteil. Draußen wummerte gerade eine dieser auspuffbehandelten Türkenlimousinen vorbei, ein Kinderwagen knirschte keck über den Rollsplitt auf dem Gehweg, Fahrräder klabauterten klappernd über das Kopfsteinpflaster, ein Roller fauchte fahrig um die Ecke, und ein unsichtbarer Helikopter flappflappflappte fesch durch unseren Luftraum.
Was wir also brauchten: Musik, die nichts will. Aber Musik, die nichts will, will ja auch etwas, auch wenn dieses Etwas das Nichts ist. Am Anfang versuchten wirs noch mit Philipp Glass "Clouds", aber das war uns zu schrill und verplappert. Vielleicht "Four Organs" von Steve Reich? Nicht schlecht, aber noch immer zu aufdringlich. "Music for Airports" von Brian Eno schied auch rasch aus, weil sich hier die Klänge wie Mobiles so luftig und heiter um sich selbst drehen, dass uns ein schlimmer Schwindel packte. Schnell war auch Aphex Twin mit seinen "Selected Ambient Works" aussortiert, da sich in diesen hochglanzpolierten Flächen fast unmerklich ein Grauen spiegelt, das gerne um sich greift.
ARNO FRANK (36) ist taz-Redakteur. Er kann lesen und schreiben. In seiner Freizeit spielt er gerne Flipper, hört schlechte Musik, schaut sich gute Pornos an und erschlägt manchmal kleine Hunde.
Das möbelhafte Getupfe von Erik Satie und seinen "Vexations" war uns zu monumental. An GAS und "Königsforst" gefiel uns zwar der schlierige Nebel, doch störten wir uns an dessen zartem Pulsieren. Sogar Gavin Bryars und sein "The Sinking of the Titanic" stellten wir ab, weil wir bald buchstäblich sahen, wie das Schiff mit einer Schleppe aus schillernden Blasen gen Grund rauschte. Arvo Pärt war uns zu katholisch, die tibetanischen Gesänge der Mönche von Gyuto zu buddhistisch.
Gerade wollte ich John Cages "433'" auflegen, da wehte auf einmal, mehr Ahnung als Klang, ein Altsaxofon durch die Wohnung. Mal war es da, mal wieder nicht, und wie Gespenster schlichen wir durch die Zimmer auf der Suche nach der Quelle … okay, ums kurz zu machen: Nächstes Mal werden wir uns betrinken. Pilze machen viel zu wählerisch, und am Ende steht man dumm da.
Der Abend endete jedenfalls damit, dass wir andächtig und entrückt in einer zwielichtigen Ecke des Flures vor der nackten Steigleitung standen und wie einer Offenbarung den unbeholfenen Fingerübungen eines neunjährigen Nachbarn lauschten, der sich gerade zwei Stockwerke über uns zaghaft durch "Take Five" tastete.
Text: "Der Reif hatt einen weißen Schein / Mir übers Haar gestreuet / Da glaubt ich schon ein Greis zu sein / Und hab mich sehr gefreuet" (Franz Schubert)
Musik: Das Knistern von Vinyl, das man aus der Hülle nimmt.
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