piwik no script img

Kolumne GeräuscheDer Zahnarzt gibt Zwischengas

Kolumne
von Arno Frank

Dr. Frank, Motorradmathematiker, hat errechnet: "offener Auspuff = offener Arsch".

D urch unsere Straße müssen Motorräder, wenn sie ihre Rennstrecken im Rheingau ansteuern. Die Ampel vor dem Haus ist eines der letzten Hindernisse vor der großen Feierabendfreiheit, und da juckt es den einen oder anderen Fahrer natürlich schon im Handgelenk. Ich habe nichts gegen Mopeds, ich fahre selber eins. Nachdem ich aber die ersten Wochen noch mit heiterem Typenraten zugebracht habe, schleicht sich allmählich ein gewisser Verdruss ein. Es gibt nämlich kaum etwas anderes zu erlauschen als scheppernde Eisenhaufen aus Milwaukee. Die klingen bekanntlich, als rumpele ein kaputter Traktor über ein versumpftes Feld - und das ist für mich als Liebhaber, als würde ich mehrmals täglich die Quatschmusik von Lynyrd Skynyrd hören müssen. Akustische Monokultur. Inzwischen glaube ich sogar, dass man hier als Zahnarzt keine Praxis eröffnen darf, wenn man nicht den Besitz einer Harley-Davidson nachweisen kann. Mit offenem Auspuff.

Es gilt die Gleichung "Offener Auspuff = Offener Arsch". Immer. Der offene Auspuff ist in dieser Gegend allerdings nicht die Ausnahme, die irre Grille eines einsamen Idioten. Nein, der offene Auspuff gehört hier nicht nur nur zum guten Ton, er ist der gute Ton. Ich verstehe schon, dass dieser Wille zum Krach irgendwie seine Gründe haben muss, so wie sich, sagen wir, der Waffenbesitz in den USA mit einer Kultur der Individualität und der ewigen Eroberung des Wilden Westens durch dieses Individuum erklären lässt. Gewitternd durch die Straßenschluchten zu röhren, das bedeutet für das aktive Männchen immer auch die Zurschaustellung von Dynamik, Risikobereitschaft und Potenz.

Zuvor aber steht es, das Männchen, an dieser dummen Ampel und gibt aus purer Langeweile Zwischengas. Wieder. Und wieder. Zwischengas ist, wenn man durch einen kurzen Dreh am Gasgriff den Motor im Leerlauf hochjagt. Je nach Fabrikat tönt das dann nach einem aggressiven Jaulen, einem bedrohlichen Bellen oder - im Falle einer Harley-Davidson - nach einem unappetitlichen Verkehrsunfall, bei dem es auch zu Explosionen und Pistolenschüssen kommt. Nun gibt es für das Zwischengas sicher so viele vernünftige Begründungen wie für den offenen Auspuff - ein zu kleines Geschlechtsteil, ölverseuchte Libido, Testosteron. Der Zwischengasgeber gleicht dem Pornodarsteller, der sich für einen Dreh in Stimmung bringt. Was sonst sollte ein Primat mit einem Verbrennungsmotor zwischen den Beinen machen, wenn nicht - Balzgeräusche?

Bild: taz
Arno Frank

ist Autor der taz.

Und so begleiten den Biker oft meine innigsten Flüche und Verwünschungen. Was die Sache nur noch schlimmer macht. Sind die Mopedfahrer alle endlich weg, wird es bald darauf erst richtig laut. Denn durchunsere Straße muss auch der Notarztwagen, wenn er die Rennstrecken im Rheingau ansteuert.

Text: "Because I have learned that nothing is as pressing / As the one whos pressing would like you to believe / And Im content to walk a little slower / Because there is nowhere that I really need to be", Bright Eyes, "The Difference In The Shad".

Musik: Das flehende Balzgeräusch des Kormorans.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Inlandskorrespondent
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • H
    Heizer

    Mensch Arno, was´n los? Schon gehört?

     

    Loud Pipes save Lives ;)

     

    Fahrer eines SEHR lauten Italienischen "Edel"brenners (offene Acras, Power Commander, etc. weißt schon)

  • D
    Dilemmata

    "Was sonst sollte ein Primat mit einem Verbrennungsmotor zwischen den Beinen machen, wenn nicht - Balzgeräusche?"

    Die Wahrheit ist oft so einfach. Ich mußte so furchtbar lachen, daß mir mein MacBook beinahe verunfallt wäre.

  • A
    Aplysia

    Diese Kolumne hätte ruhig geschlechtsneutral formuliert werden können, die Weibchen auf Motorrädern stehen den Männchen in ihrer Lust am puren Krach nämlich in keinster Weise nach, wie ich in den letzten Wochen beobachten und hören durfte. Rücksichtnahme ist wohl bei beiden Geschlechtern zu einem Luxusgut geworden.

  • J
    Jengre

    Na ja - die Rennstrecken im Rheingau dürften eher die Fahrer von Sportmotorrädern ansteuern, und die sind heute dank strenger Geräuschemissionsverordnungen im Stadtverkehr sehr leise. Mit einer Harley kann man nicht rasen, man kann nur cruisen, und da die stolzen Besitzer, ob nun Mitglieder krimineller Vereinigungen oder "Zahnwälte", es gern laut bollern lassen, haben sie entweder illegale Auspuffanlagen oder eine Custom-Harley, deren Rahmen und damit Erstzulassung (nicht selten aus den 1940ern) sie von aktuellen Bestimmungen befreit.

     

    Daß alte, laute Motorräder auch schön klingen können, mag jeder, der es nicht glaubt, auf Youtube überprüfen. Man suche nach "BSA A10", "Velocette Venom", "Norton 650 SS" oder "Norton Commando". Schade, daß meist Harleys oder Vierzylinder-Renner das Ziel von Altherrensehnsüchten sind.

  • S
    SüdPark

    Sehr treffender Artikel. Als Tipp sei erwähnt das sich die Comicserie SouthPark auf ihre Art und Weise mit den Harleyfahrern beschäftigt hat (wir müssen auffalen und lauter sein) und zwar in der Episode mit dem Namen "Schwule Schwuchteln".

  • M
    Michael

    Hervorragend!

    Das hate ich mich schon vor 25 Jahren genervt, als ich noch selbst Motorrad gefahren bin.

  • RA
    René Artois

    Lieber Arno,

    "Zwischengas" ist was anderes: Bis Mitte der fünfziger Jahre gab es Autos, deren Getriebe nicht "synchronisiert" waren. Bei denen mußte man, um sauber und ohne Kratzgeräusche von einem Gang zum nächsten (vor allem "abwärts") wechseln zu können, Zwischengas geben, was manche nie und manche noch später lernten: Es geht so: Wunsch zum Wechsel vom 4. in den 3. 1) Kupplung treten; 2) Schalthebel vom 4. in Leerlaufposition; 3) Kupplung rauslassen; 4) kurzer Gasstoß, damit die Zahnräder im Getriebe auf identische Drehzahlen kommen; 5) Kuppel getretet; 6) 3. Geschwindigkeit in den Räderkasten eingerückt; 7) Kuppel kommen lassen; 8) im 3. weiterfahren.

     

    Wenn man das ein bißchen übt, geht es (fast) ebenso schnell wie Schalten ohne Zwischengas. Aber nur fast. Wenn man es nicht übt, kratzt es noch immerer als immer.

     

    Das, was die Herrschaften mit den V2-motorisierten Gynäkologenstühlen bei Dir an der Ampel machen, ist nur ihren psychologischen Defiziten geschuldet, und hat mit "Zwischengas" nichtser als nichts zu tun.

    Gruß

    "Bandit"-Fahrer, der sich immer freut, wie leise große Moppeds sein können.

  • H
    hansmoser

    Das Testbild im TV (nur die Älteren kennen es noch) ist/war spannender als diese Kolumne. Gute Nacht.

  • S
    suswe

    als ich Jugendliche war, kam das Zwischengas an der Ampel, an der ich über die Straße ging, von Audi und sonstwas fahrenden Männern mit Schnurrbart.

    Ich habe es gehasst.

    Mit männlicher Anziehungkraft hat es nichts zu tun.

  • BL
    Bürger Lars

    Der Autor stellt das sehr gut dar. Aber er springt zu kurz. Nur Harley nervt? Nur offener Auspuff = offener Allerwertester?

     

    Nein.

     

    Leider nein.

     

    Und der Autor ist nicht konsequent. Daher warten wir einfach mal drauf bis er merkt, dass alle Motorräder nerven und er, und da kommt nun die Konsequenz, sein Moded aufgibt und wegschmeißt. Und bis dahin machen wir es wie die Italiener:

     

    Cabriofahrer belächeln wir, Motorradfahrer verachten wir und Rennradfahrer bewundern wir.

     

    Viele Grüße aus dem Süden.

     

    PS: Ich hätte noch nen Tipp. Aktiv eingreifen an dieser Ampel. Einfach die Karre ausmachen, während das Fahrerlein noch Zwischengas gibt. Gibt Riesenzoff und herrlichen Streit. Wunderbar.