Kolumne Freitagscasino: Schwarmblödheit
Die nächste Krise kommt bestimmt. Dafür sorgt die Dummheit der Anleger.
J ede Krise hat ihre Klischees. Bei den Finanzmärkten ist zum fixen Bild geworden, dass sie eine Art Casino seien, in dem irrationale Glückssucher mit wahnwitzigen Summen zocken. Penible Beobachter haben zwar angemerkt, dass der Vergleich mit dem Casino hinkt. In einem Casino vermehrt sich das Geld nicht, es wird nur umverteilt. Auf den Finanzmärkten hingegen explodieren die Summen, die hin und her geschoben werden.
Trotzdem trifft der Vergleich einen wesentlichen Punkt: Im Casino wie auf den Finanzmärkten gewinnt immer die Bank. Fassungslos beobachtet das Publikum derzeit, dass ihre Staaten auf den Bankrott zutreiben, weil sie die Banken gerettet haben - während die Banken schon wieder glänzende Profite verbuchen.
Und das Beste für die Banken: Sie handeln völlig legal. Die Regierungen haben ihnen ein Finanzmarkt-Casino eingerichtet, das noch lukrativer ist als eine normale Spielhölle. Wie hat es der britische Wirtschaftsjournalist Martin Wolf treffend zusammengefasst: "Die großen Finanzinstitute halten gleichzeitig die Bank, sind die größten Spieler am Tisch, sind Agenten für die anderen Spieler, und wenn alles schiefläuft, ist ihre Haftung begrenzt."
Ulrike Herrmann ist die wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz. Kürzlich erschien ihr Buch "Hurra, wir dürfen zahlen" (Westend). Es handelt vom "Selbstbetrug der Mittelschicht", die sich fälschlich zur Elite zählt.
Die Bank gewinnt immer
Die Finanzkrise ist in ihrem vierten Jahr. Doch getan hat sich bisher fast nichts, um das Casino zu schließen. Auch der G-20-Gipfel in Toronto dürfte das gewohnte Bild bieten, dass das Gruppenfoto der Regierungschefs das einzige konkrete Ergebnis ist.
Dabei hat sich unter den Experten ein gewisser Konsens herausgebildet, welche Reformen zwingend wären, damit die Banken wenigstens haften, wenn sie sich im Casino verzocken.
Wichtigster Punkt: Die Banken müssen unbedingt mehr Eigenkapital vorhalten, damit sie nicht sofort pleite sind, falls sie Verluste einfahren. Für die Banken wäre diese Reform schmerzlich, würden doch ihre Gewinne deutlich sinken. Also leisten sie ganze Lobbyarbeit und lassen immer neue Horrorszenarien kursieren, wie das Wirtschaftswachstum leiden würde, wenn die Banken mehr Eigenkapital hinterlegen müssten. Davon hat sich bisher noch jede Regierung beeindrucken lassen.
Während die Regulierung nicht vorankommt, hat inzwischen eine zweite Diskussion begonnen, die den Fokus noch einmal verschiebt. Es setzt sich nämlich die Erkenntnis durch, dass selbst die beste Regulierung nicht verhindern würde, dass Banken periodisch pleitegehen. Der Grund ist denkbar trivial: der Mensch. Er neigt nun einmal zum Herdenverhalten und glaubt immer gern, was auch sein Nachbar meint. Das kann man "Schwarmintelligenz" nennen - oder aber auch Schwarmblödheit.
Angenommen, die Finanzmärkte wären perfekt reguliert: Es gäbe eine starke Aufsicht und maximale Transparenz, weil alle Finanzprodukte an Börsen gehandelt würden und die Rating-Agenturen staatlich wären. Gleichzeitig wären sämtliche Steueroasen geschlossen, und es gäbe auch keinen außerbilanziellen Geschäfte mehr. Selbst in dieser schönsten aller Finanzwelten ist nicht auszuschließen, dass Banken und Investoren riskante Geschäfte tätigen, weil sie an eine "Story" glauben.
So entstand die Dotcom-Krise zur Jahrtausendwende: Plötzlich dachte die Anlegerhorde, dass mit dem Internet der ewige Aufschwung garantiert sei. Die Aufseher bremsten die Euphorie nicht. Stattdessen wurden sie ebenfalls von diesem grundlosen Optimismus erfasst, denn sie sind ja auch nur Menschen, die sich an der Herde orientieren. Eine solche Massenhysterie kann sich jederzeit wiederholen.
Die menschliche Psychologie entwertet das Anliegen nicht, die Finanzmärkte optimal zu regulieren. Im Gegenteil. Aber es ist eben auch der mögliche Bankrott einer Bank einzuplanen - und zu verhindern, dass aus einer Pleite gleich eine Systemkrise wird. Da reicht es nicht, die Bilanzen der Banken zu verkleinern. Wie die Finanzkrise gezeigt hat, können selbst unbedeutende Institute "systemrelevant" sein, wenn sie nur stark genug mit den anderen Banken vernetzt sind, weil man sich gegenseitig Kredite gewährt hat.
Raus aus dem Casino
Man muss also eine Art Trennbanken-System einführen, das normalen Banken verbietet, das Casino überhaupt zu betreten und dort zu spekulieren. Hier setzt die "Volcker-Regel" an, die der frühere US-Notenbankchef Paul Volcker vorgeschlagen hat und gegen die sich die Europäer vehement stemmen.
Die Idee: Klassischen Geschäftsbanken soll der "Eigenhandel" verboten werden. Sie dürften also nicht mehr auf eigene Rechnung mit Währungen, Rohstoffen, Aktien oder Staatsanleihen zocken. Gleichzeitig wäre ihnen auch untersagt, in Hedgefonds oder Private Equity Fonds zu investieren, die diese Spekulationsgeschäfte tätigen. Für Institute wie die Deutsche Bank wäre dieses Verbot ein schwerer Schlag, wird doch ein großer Teil des Gewinns mit dem Eigenhandel erwirtschaftet.
Allerdings weist die Volcker-Regel einen seltsamen blinden Fleck auf, wie Kritiker sofort bemängelt haben. Es wäre normalen Banken weiterhin möglich, Kredite an Investmentbanken zu vergeben.
Genau von dort ging aber die jetzige Finanzkrise aus: Lehman Brothers war eine reine Investmentbank, die munter mit "Finanzinnovationen" spekulierte und dies mit Interbankenkrediten finanzierte. Der amerikanische Ökonom Nouriel Roubini schlägt daher vor, Kredite von Geschäftsbanken an Investmentbanken zu unterbinden.
Die G-20-Staaten sollten aber noch mehr Ehrgeiz entwickeln - und versuchen, die Spekulation prinzipiell einzudämmen. Unctad-Chefökonom Heiner Flassbeck hat schon vor einem Jahr einen Vorschlag unterbreitet, wie sich etwa die Spekulation mit Rohstoffderivaten sehr effizient abstellen ließe: Man müsse nur in jeden Vertrag hineinschreiben, dass die Ware am Ende der Laufzeit auch abzunehmen ist. "Dann ist das Spiel vorbei. So große Lagerhallen haben die Finanzspekulanten nicht."
Man nimmt also einfach die Chips weg. Schneller lässt sich ein Casino nicht schließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht