Kolumne Fernsehen: Der Junge, die Eltern, der Heißluftballon

Menschen tun viel, um ins TV zu kommen. Und nicht nur die Aufmerksamkeit des Boulevards ist ihnen sicher.

Erinnern Sie sich an die "Truman Show"? In dem Film erkennt ein junger Mann, dass er - ohne davon zu wissen - sein ganzes Leben als Hauptdarsteller einer Fernsehserie verbracht hat. Die Realität findet auf dem Bildschirm statt. Und nur dort.

Der Spielfilm gilt als geglückte Satire, aber das kann ein Missverständnis sein. Vieles spricht dafür, dass er den Alltag von zumindest einem Teil der Bevölkerung im Fernsehzeitalter abbildet. Das zeigt sich jetzt am Fall des 6-jährigen Falcon Heene aus Colorado, dessen angeblicher Irrflug an Bord eines Heißluftballons stundenlang Millionen an die Bildschirme fesselte.

Allgemeine Freude und Rührung, als sich herausstellte, dass das Kind gar nicht an Bord gewesen, sondern wohlbehalten zu Hause war. Allgemeine Empörung, als sich ferner herausstellte, dass die Eltern das ganze Drama inszeniert hatten, um sich für Doku-Soaps zu empfehlen. Das mit den Doku-Soaps kann das Ehepaar nun wohl vergessen, was ein bisschen ungerecht ist. Engagement haben sie wahrlich gezeigt und außerdem bewiesen, dass sie für hohe Einschaltquoten gut sind. Mehr können Produzenten doch eigentlich nicht verlangen.

Interessant an dem Fall ist nicht das Verhalten der Heenes. Man muss nicht in die USA schauen für die Erkenntnis, dass viele Leute bereit sind, für die Hoffnung auf Tagesruhm wahnwitzige Dinge zu tun, ihren Ruf und sogar die Existenz dauerhaft zu ruinieren. Da genügt ein Blick in die heimischen Casting-Shows, ins Dschungelcamp oder in die Serie "Frauentausch" - bei deren US-Ausgabe übrigens auch die Eheleute aus Colorado schon mitgemacht haben. Was solls. Nein, interessant ist nicht diese Form der Massenpsychose, sondern die bizarre Mediendebatte, die jetzt entbrannt ist.

Angefangen damit hat Arianna Huffington, Gründerin und Chefredakteurin der angesehensten Internetzeitung der USA, der Huffington Post. Sie war in eine Fernsehshow eingeladen worden, um über den Krieg in Afghanistan zu sprechen. Plötzlich sah sie sich stattdessen mit einem Boulevardthema konfrontiert, nämlich der vermeintlichen "Rettung" von Falcon, die einige Minuten zuvor bekannt geworden war. So was ist blöd. Da hat man sich schön vorbereitet und soll dann über irgendetwas quatschen, worüber jeder reden könnte. Arianna Huffington machte ihrem Ärger Luft. Sie stellte einem erkennbar fassungslosen Moderator live die Frage: "Jetzt, wo der Junge gefunden ist - warum reden wir noch darüber?" Später schrieb sie, die Medien sollten ihre Aufmerksamkeit lieber anderen Themen widmen wie beispielsweise dem Schicksal obdachloser Kinder in den USA. Was sich als ehrenwerter Standpunkt tarnt, ist der Gipfel der Heuchelei. Als ob die Huffington Post ohne Geschichten auskäme, bei denen es umgemein menschelt.

Aber mit ihrer moralisierenden Scheinheiligkeit steht Huffington nicht alleine da. "Das Pseudodrama enthüllt die Sensationssucht und Quotenhatz, die auch unter den seriösen Medien grassiert", war in Spiegel Online zu lesen. Und weiter: "Niemanden schien dabei zu stören, dass diese Story von Anfang an unplausibel war - nicht zuletzt die Journalisten selbst. Der Heimbau-Folienballon war viel zu leicht, um selbst einen kleinen Jungen tragen zu können." Ja, das war mühelos zu erkennen. Allerdings erst, nachdem das Ding gelandet war.

Gehts noch, Kollegen? Der Boulevard ist manchmal schwer erträglich, zugegeben. Aber so zu tun, als liefen nur die anderen darauf herum: das ist nicht nur verlogen - das zeigt, was man vom eigenen Publikum hält. Man hält es für blöd.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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