Kolumne Einen Versuch legen: Ein edler Wilder

Billiger war es wohl nie, Rebell zu sein: Als einziger HSV-Fan lebt es sich in einer St.-Pauli-Sympathiewoge überraschend angenehm.

Es soll mal eine Zeit gegeben haben, in der die Anhängerschaft zu einem Fußballclub, noch dazu zum falschen, bittere Konsequenzen nach sich zog. Im Milieu der Hamburger Underground-Musik-Szene galt es wohl vor Urzeiten als unschicklich, Fan des HSV zu sein. War man es trotzdem und lief auch nicht über, musste man sich warm anziehen. In Einzelfällen sollen sangesfreudige HSV-Anhänger sogar bei Auftritten von wutschnaubenden Kollegen mit Wattebällen beworfen worden sein.

Diese Zeiten habe ich leider nicht mehr mitbekommen. Billiger war es wohl nie, Rebell zu sein. Die Zeiten haben sich nämlich geändert. Statt Missachtung, Gehässigkeit oder Gewalt erfuhr ich, als meine bis dato geheime Leidenschaft in der In-Crowd ruchbar wurde, Respekt, Anerkennung, ja sogar Bewunderung. Selbst eingefleischte Anhänger der Braunen vom FC St. Pauli gierten danach, mit mir gesehen zu werden. Freigetränke! Gästeliste!! Heimliche Blicke junger Damen!!!

Wie schon ein Jahrhundert zuvor der berühmte Apachenhäuptling Winnetou war ich ein edler Wilder. Ein HSVler, der mit Messer und Gabel isst, der nicht NPD wählt, der sogar - Teufel auch - The Smiths hört! Ich war eine Sensation. Über Nacht wurde aus einem zwar überdurchschnittlich talentierten, aber doch etwas unscheinbaren Indierocker ein Ace-Face.

So viel Distinktionsgewinn ohne Arbeit. Es ging sogar das Gerücht um, dass ich Spieltag für Spieltag unter dem Nazigesindel der Westkurve ordentlich aufräumen würde. Der Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts war zwar null, jedoch hatte ich auch nicht das Bedürfnis, es aus der Welt zu schaffen. Um ehrlich zu sein: Gewalt, und sei sie auch noch so gerecht, ist meine Sache nicht. Ich neige eher zum Maulheldentum. Und selbst dafür muss ich mir Mut antrinken.

Jedoch kommt bekanntlich Hochmut vor dem Fall. Zu einer Zeit, als meine Hamburger Musikerkollegen wegweisende musikalische Meisterwerke veröffentlichten, sonnte ich mich in meinem kümmerlichen Ruhm. Jedem, auch wenn der - oder erheblich seltener - die Betreffende es nicht wissen wollte, stellte ich mich mit den Worten vor: "Hallo, ich bin C., ich bin übrigens HSV-Fan". Dazu grinste ich ebenso bescheuert wie erwartungsfroh. Nur noch ab und zu hob sich ob meines Bekenntnisses eine Braue. In meiner maßlosen Verblendung und meiner Aufgeblasenheit war es mir entgangen, dass der HSV inzwischen Mainstream geworden war. Dazu muss man wissen, dass in der sogenannten Hamburger Schule und bei ihren zahlreichen Anhängern früher ein ausgeprägtes Missvergnügen bezüglich des Mainstreams herrschte.

Ich wurde unangenehm, eine Peinlichkeit. In der Art verrückter Straßenprediger stellte ich mich in Boheme-Gaststätten nahe der Reeperbahn auf die Biertische und rief: "Befreit euch von den Zwängen! Legt die braun-weißen Ketten ab!" Junge Damen, deren Blicke mir noch vor kurzer Zeit schmeichelten, bedachten mich nun in beleidigender Absicht mit einem Wort das mit "W" anfängt und mit "ichser" aufhört. Ich schäme mich heute noch dafür. Aus einem coolen, unangepassten Independent-Tonkünstler war eine traurige, ehemalige Jahrmarktsensation geworden. Und zwar in Rekordzeit. Hätte ich mir doch die Worte von Dennis Thatcher zu Herzen genommen und einfach mal die Schnauze gehalten.

Ich erkannte plötzlich, dass Leute, die ich doch für meine Freunde hielt, lediglich an mir ihre übermenschliche Toleranz sichtbar machen wollten. Nach all den Jahren muss ich jedoch feststellen, dass dieser Backlash weniger mit dem HSV als mit meiner Person zu tun hatte. Heute gehört es ja fast schon zum guten Ton, sich zum HSV zu bekennen. Der Samen wurde gesät, der Damm ist gebrochen. Wenn heute Künstler, Musiker, Punks, G-8-Protestierer und sportbegeisterte Unangepasste weltweit das Jersey des sympathischen Underdogs vom Rothenbaum tragen, so schlafe ich mit der wohligen Gewissheit ein, meinen bescheidenen Beitrag dazu geleistet zu haben.

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