Kolumne Eier: Bei den ganz Harten mitspielen

Sind die Ellenbogen weg vom Körper? Männlichkeit ist so fragil, dass sie mit größter Mühe performt werden muss. Heute: beim Herrenfriseur.

Haare werden geschnitten.

Wenn der Besuch beim Frisör zur Challenge wird. Foto: dpa

Auf dem Tisch liegen mehrere Ausgaben der Auto-Bild, sonst nichts, kein Stern, kein Focus und erst recht keine Gala. Auch die Gespräche drehen sich um Autos. Es riecht nach Motoröl. Nein, es riecht nicht nach Motoröl, das hat sich mein Gehirn ausgedacht. Aber es sollte nach Motoröl riechen. Stattdessen riecht es nach Parfüm. Ich bin beim Friseur. Einem Herrenfriseur, erkennbar an der Zeitschriftenauslage und daran, dass ich angespannt bin.

Selten finde ich mich irgendwo wieder, wo so viel Männlichkeit im Raum ist. Ich spiele keinen Mannschaftssport, bin kein Automechaniker und gehe nicht zu Fußballspielen. Meine Welt ist vergleichsweise unmännlich, dafür dass sie immer noch eine patriarchale ist. Nur beim Friseur ist das anders. Und das macht mich nervös.

Ich beobachte mich durch die Augenwinkel im Spiegel. Sind die Ellenbogen weg vom Körper? Mein Gang nicht zu fließend? Und der Handschlag, ich muss mich konzentrieren, wenn er kommt, denn es entscheidet sich in Sekundenbruchteilen, ob mein Gegenüber einen klassischen Händeschüttler, den etwas intimeren Drücker-vor-der-Brust oder den elaborierten Klatsch-Wisch-Fistbump mit mir vorhat. Wenn ich den Handschlag nicht rechtzeitig kapiere und mein Arm ins Leere fliegt oder krampfig irgendwo in der Luft hängenbleibt, bin ich entlarvt.

Diese Angst, in Männergruppen als unmännlich zu gelten, bin ich seit der Schulzeit nicht so recht losgeworden. In der Pubertät war klar: Männer haben eigene Codes – und wer die nicht auf die Kette kriegte, war kein richtiger Mann. Also übte ich Männergang, Männerhandschläge und Männerlache vor dem Spiegel. Und jetzt tu ich es wieder, während ich auf einen freien Friseurstuhl warte. Achte drauf, nicht meine Beine übereinanderzuschlagen. Bei den anderen Kunden würde ein Bierkasten zwischen die Knie passen. Quer.

Meinen Tee habe ich ohne Zucker bestellt, er schmeckt scheußlich bitter. In der Schulzeit habe ich immer Campari bestellt, ich dachte: Männer trinken bitteres Zeug. Männer trinken ganz sicher keinen Campari, habe ich dann gelernt. Irgendwann habe ich aufgehört mit dem Scheiß.

Gehen zu wollen wie Clint Eastwood. Meine Stimme tiefer zu machen. Darauf zu achten, dass mein Po nicht wackelt, damit mich niemand für schwach hält. Ich habe gelernt, Freunde zu finden, die auf anderes Wert legen als auf Männlichkeit – und mit der Zeit stand ich weniger vor dem Spiegel. Und doch tu ich es wieder.

Während die Rasierklinge meine Schläfen entlangfährt, strenge ich mich so sehr an, lässig zu wirken, dass ich kaum atmen kann. Will ich am Ende immer noch Teil dieses exklusiven Clubs sein? Ich könnte ja auch in einen all-genders Salon gehen. Aber etwas zieht mich magisch zum Herrenfriseur. Diese Welt aus beinespreizenden, sexistische Witze reißenden, latent homophoben Dudes – ein Teil von mir will da immer noch mitspielen dürfen, um jeden Preis. Fertig. Zahlen. Der Handschlag. Es ist ein Klatsch-Wisch-Fistbump heute, ich hab’s rechtzeitig gecheckt. „Mach’s gut, mein Lieber, bis demnächst!“, sagt der Friseur. Mein Herz macht einen Hüpfer. Ich bin cool genug. Vorerst.

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