Kolumne Der rote Faden: Wir schütteln Euch zu Tode

Wer Händeschütteln zur Leitkultur machen will, der verhilft den Ossis endgültig zum Sieg über den Westen. Das Manöver ist bald vorbei.

Putin schüttelt Merkel die Hand

An ihrem Handschlag sollt Ihr sie erkennen: die Ossis Foto: dpa

Die Wiedervereinigung war ein kompliziertes Manöver, an dessen Abschluss nun endlich die Übernahme des dekadent vor sich hin faulenden Westens durch den asketisch marschierenden Osten steht.

Bundeskanzlerin Angela Merkel war der Anfang, dann kam Bundespräsident Joachim Gauck (zwischenzeitlich ersetzt durch Frank-Walter Steinmeier, damit es nicht so auffällt, aber selbst der braucht dafür einen Zweitwohnsitz im Osten) und nun hat Thomas de Maizière (von 1990 bis 2005 Staatsdiener für ein Kessel Buntes in McPomm und Sachsen) geschrieben, ordentliche Deutsche müssten sich die Hand geben.

Siiiiiiiieg!!!!!!

Kaum jemand mag sich heute noch erinnern, wie übel angesehen der Handschlag noch kurz nach dem Mauerfall war. Unzählige von Palmolive und Philosophie zarte Generationgolfhände verfingen sich in den meterlangen Flüchten der vom Kampf gegen den Kapitalismus gestählten Arbeiter und Bauern von jenseits des antifaschistischen Schutzwalls. Krachend umschlossen die fünffingrigen Schaufeln des Proletariats um Gnade winselndes Westfleisch.

„Röchöchöchör“, lachten wir über das Zappeln unserer schwächlichen Brüder und Schwestern, die irgendwo da unten auf Höhe unserer Hüften etwas Ähnliches wie „Gnuuu…tn…ag“ hervorpressten.

„Das heißt: Guten Tag!“, werden wir in der verheißungsvollen Zukunft brüllen, die euch in Handburg und Garmisch-Prankenkirchen bevorsteht, „und deinen Namen musst du beim Begrüßen auch noch sagen!!!“

Im Osten nur Fleischermanieren

Wie konnten die Westler vergessen, wes Geistes Kind der Handschlag ist? Hinter dem Limes kultivierten sie 40 Jahre lang ihre Sitten, entdeckten trockene Rotweine, Brioche und Stäbchen. Draußen heulten die Barbaren vom Stamme Rosenthaler Kadarka. Dann vereintes Land, zerbrochene Hände. Deren Anhängsel wussten sich nur zu wehren, indem sie erzählten, der Ostdeutsche mit seinem ewigen Händedruck sei ein ­distanzloser Trampel, sein Gehabe kulturlos und unfein, er sei ein Troll mit Fleischermanieren.

Heute finden sich davon ­allenfalls noch Artefakte. Auf der Webseite des von der Europäischen Union geförderten Projektes „Interkulturelle medizinische Kommunikation in Europa“ heißt es etwa: „In Ostdeutschland, also im Gebiet der früheren DDR, schüttelt man sich häufiger die Hände als in Westdeutschland.“

In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird gewählt. Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sind die Hoffnungsträger ihrer Parteien. Wer kann liberale Wähler überzeugen? In der taz.am wochenende vom 6./7. Mai beschäftigen wir uns mit einem neuen Liberalismus. Außerdem: Männer, die ältere Partnerinnen haben. Wie liebt es sich mit dem Tabu? Und: Patricia Purtschert ist Gender- und Kolonialismusforscherin. Warum sie ihrer Tochter trotzdem Pippi Langstrumpf vorliest. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Und in einem vom Staube bedeckten Interviewmanuskript von 2009 der Welt sagt Hans-Michael Klein, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft: „Die Ostdeutschen reichen aber deutlich öfter die Hand. Mit 70 Prozent extrem oft bei Freunden, in Westen sind es nur gut 40 Prozent.“

Bald werden es alle sein. Oder sie werden gar nicht sein.

Volller Vorfreude – ein bisschen Grimm ist auch dabei, ihr wisst schon, wegen der Treuhand – sehen wir dem Tag entgegen, an dem wir in eure Häuslein aus Edelwaschbeton und Guccileder stürmen, eure Hände ergreifen wie eherne Pumpenschwengel und sie so lange schütteln, bis Wasser kommt.

Wir haben unsere rechten Arme trainiert. Was ist mit euch?

Wir halten die Zukunft sauber und gesund

Der Journalist Fabian Köhler hat am 1. Mai auf Twitter gezeigt, wo die Reise hingeht. Er stellte die Thesen von Thomas de Maizière neben die zehn Gebote der Jungpioniere der DDR. Etwaige Ähnlichkeiten könnt ihr gerne so lange für Zufälle halten, bis sich im Vierersitz irgendeines Regionalexpresses ein zwei mal zwei Meter Schinken aus Lutherstadt Wittenberg über euch beugt und fragt: „Wir Jungpioniere treiben Sport und halten unseren Körper sauber und gesund! WARUM RIECHE ICH DANN KNOBLAUCH???“

Das wird fein.

Klar, auch wir haben andere Seiten. Ich zum Beispiel bin mit einer Frau befreundet, die ein Kopftuch trägt. Manchmal, gerade wenn sie scheiße behandelt wird, und das passiert leider zu oft, würde ich sie gern umarmen, aber das geht nicht, denn das möchte sie nicht.

Das war am Anfang schwer für mich, ich komme aus einer weitverzweigten Familie von Umarmern, und ich empfand es als eine Beleidigung, dass sie nicht erkennen wollte, welche Herzenswärme in solch einer Umarmung stecken kann. Dann hat sie sich Handschuhe angezogen, weil Leute einfach nicht darauf hören wollten, wenn sie sagte, dass sie ihnen nicht die Hand geben möchte. Da habe ich aufgehört beleidigt zu sein. Und wurde wütend.

Ja, die Zeit des Handschlags mag kommen. Aber ihr, die ihr jetzt schreit, wie wichtig und deutsch und Leitkultur das ist, erinnert euch wenigstens einmal kurz daran, dass da Leute sind, die drücken fester zu als ihr.

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Redakteur im Ressort Reportage und Recherche. Autor von "Wir waren wie Brüder" (Hanser Berlin 2022) und "Ich höre keine Sirenen mehr. Krieg und Alltag in der Ukraine" (Siedler 2023). Reporterpreis 2018, Theodor-Wolff-Preis 2019, Auszeichnung zum Team des Jahres 2019 zusammen mit den besten Kolleg:innen der Welt für die Recherchen zum Hannibal-Komplex.

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