Kolumne Das Tuch: Diese Kette ist verboten
Was ist erlaubt, was nicht?
Weißt du, vor zwei Jahren hätte ich mit Leuten wie dir nicht einmal geredet", sagt Shahjehan zu mir. Er ist dünn, verschwitzt und seine Augen sind müde. Wir sitzen im Backstage-Bereich eines Konzertsaals in London. Er hat gerade eine großartige Show beendet. Shahjehan ist Gitarrist der pakistanisch-amerikanischen Punk-Band "The Kominas". Und muslimisch. "Mit euch wollte ich nichts zu tun haben", sagt er und meint praktizierende Muslime.
Er war voller Wut auf die Community, er trank viel, nahm Drogen. Er zerstörte sich. Nun ist er trocken, sein Glaube gibt ihm Halt. Als Punkmusiker aber wollen ihm andere Muslime seinen Glauben absprechen. Ein guter Muslim dürfe keine solche Musik machen, schon gar nicht Punk-Musik. "Ich bin kein perfekter Muslim. Ich bin kein guter Muslim. Aber das geht niemanden etwas an", sagt er und ich spüre seine Wut von vor zwei Jahren, als er mit mir noch nicht geredet hätte.
***
Meine Mutter und ich besuchen eine der schönsten Londoner Moscheen. Es ist Zeit für das Mittagsgebet, wir machen uns bereit. Als wir den Gebetsraum der Frauen betreten, schaut mich eine Frau prüfend an. "Die Kette muss ab, Schwester", sagt sie schließlich und deutet auf meine Lieblingskette mit den großen Steinen. "Haram", also strengstens verboten, fügt sie hinzu.
Wir haben keine Lust auf eine Diskussion, also nehme ich die Kette ab - obwohl die Frau weder Autorität noch irgendeine Funktion in dieser Moschee besitzt. In wenigen Minuten fängt das Gebet an, wir haben uns hingestellt. Urplötzlich steht die Frau wieder hinter uns und tippt meiner Mutter auf die Schulter. Sie hat die Pumps meiner Mutter aus dem Schuhregal herausgesucht und hält sie nun hoch. "Haram!", sagt sie laut und deutet dabei auf das eingenähte Steinchen an der Rückseite des Schuhs.
***
"Salam, Schwester!", ruft Aisha und umarmt mich herzlich. Noch bevor ich den Gruß erwidern kann, fängt sie an wie ein Wasserfall zu reden. Sie habe gehört, ich käme aus der Türkei. Ihr Bruder lebe und studiere Medizin in Ankara, der Hauptstadt. Ankara sei so eine tolle Stadt. Und Istanbul erst. Letztes Jahr, da habe sie … Sie spricht und spricht. Sie ist selbstbewusst und lustig. Sie redet von Mode, Kunst und Politik. Sie ist eine schwarze Britin und Studentin an meiner Londoner Universität. Und außerdem ist sie von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, nur ihre Augen kann man sehen. Aisha trägt ein Niqab.
***
Imran steht vor der Bühne und hört einer Band bei der Probe zu. Als ein neues Lied angestimmt wird, wippt er mit dem Oberkörper mit, sein dichtes schwarzes Haar schwingt hin und her. Er ist ganz vertieft in die Musik, seine Augen sind geschlossen. Mit imaginären Trommelstöcken schlägt er in der Luft, wie Shahjehan spielt er bei "The Kominas", er ist der Schlagzeuger. Plötzlich dreht er sich zu mir um, springt über zwei Sitzreihen, setzt sich neben mich und sagt: "Das ist mein Lieblingslied! Das Lied handelt von dem Gefährten unseres Propheten, Hazrati Ali."
Leser*innenkommentare
Calvino
Gast
Ich finde es beschämend, dass konservative Schwarz-Weiß-MalerInnen ausgerechnet in der taz ein Forum finden.
Man sollte lieber die jungen und erfolgreichen, sowie den Prinzipien der Aufklärung verpflichteten Zeitgenossen mit ehemals muslimischen Kulturhintergrund eine Bühne bieten.
Die bereits seit Jahrzehnten übliche "Verbrüderung" zwischen linkem Spektrum und Islam, der durch Konservativismus, Frauenfeindlichkeit und Patriarchalismus so ziemlich allem "Linken" widerspricht, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben.
Wäre es nicht mutiger beispielsweise den Zentralrat der Ex-Muslime zu Wort kommen zu lassen?
In jedem Fall eine bessere Wahl als eine Missionarin, die mit Engelszungen Reklame für eine mittelalterliche Ideologie macht.
Keine Toleranz mit Intoleranz!
petronius
Gast
werte fr. yücel, eins finde ich doch sehr interessant
sie halten es für religiös geboten, sich qua kopftuch demonstrativ als muslima und damit vertreterin einer geselslchaftlichen minderheit zu outen (was natürlich reaktionen seitens zumindest des weniger aufgeschlossenen teils der mehrheit hervorruft - nicht anders, als liefe man in einem muslimischen land mit minirock und tiefem dekollete herum). kommt es zu dieser (zumindest billigend in kauf genommenen, wenn nicht gar bewußt provozierten) intoleranten reaktion, ist das für sie (willkommener?) anlaß zu protest und einem neuen kolumnenbeitrag
seltsamerweise aber fügen sie sich derartiger intoleranz schweigend bis unterwürfig, wenn sie nur von einer angehörigen ihres eigenen glaubens kommt
ein schelm, wer dabei sich was denkt
Calimero
Gast
@Yasemin und Eralp
Was soll das? Seid ihr PI Agenten die Muslime in die intolerante Ecke stellen wollen die man ihnen gemeinhin zuschreibt?
AndyG hat sich zurecht über das Niveau des Artikels ausgelassen, der so in einer linken Zeitung eigentlich nichts verloren hat. Frau Yücel ist eine Konservative die wenn sie keinen Migrationshintergrund hätte vermutlich für die Junge Freiheit oder ähnliche Neo-Konservative Blätter schreiben könnte.
Es geht hier NICHT um das Kopftuch, obwohl das vermutlich ihre Eintrittskarte in den Multikulti-Teil der taz war.
Die Reaktionen auf diese wie ich finde berechtigte Kritik lassen mich erschaudern.
Wer will eigentlich diesen Kulturkampf?
Glashaus
Gast
@stephanie
"Dann könnt Ihr nicht leses .."
bitte übe du mal schreiben, ist ja ne doppelte zumutung sowas lesen zu müssen, damit meine ich sowohl inhaltlich wie auch formal (damit du nicht so lange rätseln musst ;)
Stephanie
Gast
@Yasemin und Eralp
AndyG ist kein Christ.
Entweder Ihr wisst das ganz genau und lügt trotzdem, weil Ihr sonst keine Argument gegen ihn habt.
Oder Ihr wisst es nicht. Dann könnt Ihr nicht leses und solltet das erst mal schön ne Weile üben.
Yasemin
Gast
@eralp
ja, ihn stört, dass kopftuchtragende menschen schreiben dürfen, ihn stört, dass sie reden dürfen, ihn stört, dass sie talent haben. er fühlt sich benachteiligt und unterdrückt als die christlliche minderheit, die kein recht auf eine kolumne in der taz hat. er fühlt sich angegriffen, weil die rede von einem muslim ist, der in einer rockband spielt. (hat irgendjemand behauptet, dass es keine christlichen rockbands gibt, dessen mitglieder keine drogen nehmen??!) tut mir alles sehr leid für dich andy, scheint wohl sehr hart zu sein in einer von muslimen dominierenden welt zu leben :D
den sarkasmus beiseite gelegt, ein sehr vielfältiger artikel kübracim, gefällt mir sehr
AndyG
Gast
@Eralp: es ist mir piepegal, was jemand auf seinem Kopf trägt, es geht darum was darin ist. Hier ist es religiös weichgespülter Trivialkitsch auf konservativem Schülerzeitungsniveau. Konfessionsübergreifend. Wie Marx schreibt, "die Religion ist der Geist geistloser Zustände".
Eralp
Gast
@AndyG
Ich habe nicht wirklich verstanden, was sie an dieser Kolumne stört?
Vielleicht, dass die Autorin ein Kopftuch trägt?
hoko
Gast
eine Kolumne bitte auch für Scientology, die Satanisten, Zeugen Jehovas usw.
vic
Gast
Kein Problem, jede Religion ist auf ihre Weise verrückt.
Nur Gottlose wie ich sind frei.
AndyG
Gast
Wann bekommen denn eigentlich die katholischen Pfadfinder auch eine Kolumne in der Taz? Auf diesen Level ist das ja hier herabgesunken. Bei der christlichen Jugend gibt es auch ganz prima drogenfreie Rockmusik. Da kann man sicher auch hübsch drüber berichten. Da rollen sich einem ja die Fußnägel auf!
bernard
Gast
Schön geschrieben, assoziativ, dies passt zur aufgezeigten Pluralität "der Muslime" in Ihrem Bericht. Freilich, man findet immer einen Grund zum Vorwurf.
zum nachdenken: "Heute morgen fahre ich um 10.30 in die Stadt, ich habe mir frei genommen. Dort finden sich Kinder, Mütter, Rentner. Als junger Mann werde ich mißstrauisch beäugt. Hat der junge Mann nichts zu tun? Ist er ein Nichtsnutz, ein Tagträumer? Neben mir sitzt nun Emma, sie spricht mich an: Früher hätte Sie niemals mit nichtarbeitenden Transfergeldempfängern (Urlaubsgeld) gesprochen, heute will sie weg von der Ellenbogengesellschaft, vom Sozialdarwinismus, vom Kapitalismus. Andere Glaubensanhänger in der Bahn wenden uns mit verzerrtem, gestressten Gesicht ihre Rücken zu - wir unterhalten uns den Vormittag und setzen uns in ein Kaffee".
Jeder hat einen Glauben, wer hat den schönsten?
TrueColors
Gast
danke, kübra yücel, für den schönen bunten regenbogen!