Kolumne Das Tuch: Diese Kette ist verboten
Was ist erlaubt, was nicht?
W eißt du, vor zwei Jahren hätte ich mit Leuten wie dir nicht einmal geredet", sagt Shahjehan zu mir. Er ist dünn, verschwitzt und seine Augen sind müde. Wir sitzen im Backstage-Bereich eines Konzertsaals in London. Er hat gerade eine großartige Show beendet. Shahjehan ist Gitarrist der pakistanisch-amerikanischen Punk-Band "The Kominas". Und muslimisch. "Mit euch wollte ich nichts zu tun haben", sagt er und meint praktizierende Muslime.
Er war voller Wut auf die Community, er trank viel, nahm Drogen. Er zerstörte sich. Nun ist er trocken, sein Glaube gibt ihm Halt. Als Punkmusiker aber wollen ihm andere Muslime seinen Glauben absprechen. Ein guter Muslim dürfe keine solche Musik machen, schon gar nicht Punk-Musik. "Ich bin kein perfekter Muslim. Ich bin kein guter Muslim. Aber das geht niemanden etwas an", sagt er und ich spüre seine Wut von vor zwei Jahren, als er mit mir noch nicht geredet hätte.
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Jahrgang 1988, lebt in Hamburg und London. In der britischen Hauptstadt studiert sie Politikwissenschaften. Daneben schreibt sie ihren Blog "Ein Fremdwörterbuch".
Meine Mutter und ich besuchen eine der schönsten Londoner Moscheen. Es ist Zeit für das Mittagsgebet, wir machen uns bereit. Als wir den Gebetsraum der Frauen betreten, schaut mich eine Frau prüfend an. "Die Kette muss ab, Schwester", sagt sie schließlich und deutet auf meine Lieblingskette mit den großen Steinen. "Haram", also strengstens verboten, fügt sie hinzu.
Wir haben keine Lust auf eine Diskussion, also nehme ich die Kette ab - obwohl die Frau weder Autorität noch irgendeine Funktion in dieser Moschee besitzt. In wenigen Minuten fängt das Gebet an, wir haben uns hingestellt. Urplötzlich steht die Frau wieder hinter uns und tippt meiner Mutter auf die Schulter. Sie hat die Pumps meiner Mutter aus dem Schuhregal herausgesucht und hält sie nun hoch. "Haram!", sagt sie laut und deutet dabei auf das eingenähte Steinchen an der Rückseite des Schuhs.
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"Salam, Schwester!", ruft Aisha und umarmt mich herzlich. Noch bevor ich den Gruß erwidern kann, fängt sie an wie ein Wasserfall zu reden. Sie habe gehört, ich käme aus der Türkei. Ihr Bruder lebe und studiere Medizin in Ankara, der Hauptstadt. Ankara sei so eine tolle Stadt. Und Istanbul erst. Letztes Jahr, da habe sie … Sie spricht und spricht. Sie ist selbstbewusst und lustig. Sie redet von Mode, Kunst und Politik. Sie ist eine schwarze Britin und Studentin an meiner Londoner Universität. Und außerdem ist sie von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, nur ihre Augen kann man sehen. Aisha trägt ein Niqab.
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Imran steht vor der Bühne und hört einer Band bei der Probe zu. Als ein neues Lied angestimmt wird, wippt er mit dem Oberkörper mit, sein dichtes schwarzes Haar schwingt hin und her. Er ist ganz vertieft in die Musik, seine Augen sind geschlossen. Mit imaginären Trommelstöcken schlägt er in der Luft, wie Shahjehan spielt er bei "The Kominas", er ist der Schlagzeuger. Plötzlich dreht er sich zu mir um, springt über zwei Sitzreihen, setzt sich neben mich und sagt: "Das ist mein Lieblingslied! Das Lied handelt von dem Gefährten unseres Propheten, Hazrati Ali."
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