Kolumne Das Tuch: Neues aus der muslimischen Trendethnie
Bin ich eine Sadistin? Schlummert tief in mir eine andere Kübra? Denn warum sonst geißele ich mich immer wieder mit schlechten Hetzartikeln in deutschen Wochenmagazinen?
B in ich eine Sadistin? Schlummert tief in mir eine andere Kübra? Denn warum sonst geißele ich mich immer wieder mit schlechten Hetzartikeln in deutschen Wochenmagazinen?
Jedenfalls erwischte ich mich kürzlich wieder dabei, wie ich einen solchen Artikel las. Ich wäre fast vom Stuhl gekippt, ging es doch tatsächlich endlich einmal um das noch nie zuvor besprochene Tabuthema Ehrenmord und das Sexualleben "muslimischer" Jugendlicher in Deutschland (man ist bekanntlich nicht mehr türkisch oder arabisch, sondern nur noch muslimisch).
Wirklich gut wird der Artikel, als er es schafft, durch das ständige Wiederholen einen direkten Zusammenhang zwischen Islam und Ehrenmorden zu kreieren. Das heißt im Klartext: Ehrenmorde wird man nur dann los, wenn man den Islam los wird. Dabei haben Ehrenmorde oft mehr mit der Tradition als mit der Religion zu tun – die Ehrenmorde sogar verbietet. Viele junge Mädchen argumentieren mit ihrer Religion gegen herrschsüchtige Väter und Brüder. Aber nein. Hier schreibt schließlich eine, die es wissen muss. Sie kommt aus dem besagten Kulturkreis. Ergo: Sie besitzt einen Freischein für Undifferenziertheit.
KÜBRA GÜMÜSAY, 22, lebt in Hamburg und studiert Politikwissenschaften. Daneben schreibt sie ihren Blog "Ein Fremdwörterbuch".
Und das ist schade, weil die Autorin über etwas Wichtiges schreibt. Es gibt Familien und Gesellschaftskreise, die ihre Ehre vom Jungfernhäutchen der Töchter abhängig machen und, um diese Ehre zu retten, auch körperliche Gewalt ausüben würden. Und jeder dieser Fälle ist eine Tragödie.
Schon mit 16 Jahren fuhr ich an Wochenenden zu interreligiösen Veranstaltungen und Dialogprogrammen und erzählte Tagung aus, Tagung ein die gleiche Leier: Nein, Ehrenmorde sind kultur- und traditionsabhängig. Sie sind mit dem Islam eigentlich unvereinbar. Aber natürlich ist jede Religion schon einmal für Gewalt instrumentalisiert worden: das Christentum, welches Nächstenliebe predigt, ebenso der friedfertige Buddhismus. Überall dieselben Fragen, deshalb auch dieselben Antworten. Auch im Fernsehen und sämtlichen Talkshows.
"Muslime kommen unglaubwürdig rüber", sagte mir eines Tages ein Freund. "Einerseits betonen sie, wie unislamisch Ehrenmorde sind, andererseits findet man immer wieder Fälle, bei denen Religion als Motivation angeführt wird." Dass sich in vielen deutschen Städten Muslime seit Jahren aktiv gegen Ehrenmorde und für eine Trennung von Religion und Tradition einsetzen, wusste er nicht. Ehrenmorde sind auch nicht die einzige Tradition, für die der Islam missbraucht wird. Gewalt in der Ehe, schwache Frauenrollenbilder und belastend hohe Erwartungshaltungen an Männer sind nur einige der Missstände.
Wir Muslime müssen diese Missstände weiter diskutieren, intensiver als bisher. Nicht jedoch mit Fingerzeigenden auf Dialogveranstaltungen, wo wir glauben, der Islam als Ganzes stehe auf dem Prüfstand, und uns deshalb sofort in Verteidigungshaltung begeben. Sondern souverän, kritisch und selbstbestimmt innerhalb der muslimischen Communities. Dafür brauchen wir Foren und Formen. Und dann kann die kleine Sadistin in mir ruhen.
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