piwik no script img

Kolumne Das TuchFröhliche Baynachten

Kübra Gümüsay
Kolumne
von Kübra Gümüsay

Für muslimische Kinder folgen nun die langweiligsten Tage des Jahres. Für Erwachsene die schönsten. Besonders wegen der vielen Versuche, ein wenig netter zu sein.

W eihnachten ist die langweiligste Zeit des Jahres! - fand ich als Kind einer türkisch-muslimischen Familie, die kein Weihnachten feierte. Im Fernsehen liefen immer nur die gleichen Sachen - obwohl, von "Kevin allein Zuhaus" bekam ich nie genug. Keiner meiner Freunde kam nach draußen zum Spielen, alle hatten zu tun und waren schwer mit der Familie beschäftigt. Und als ob das nicht schlimm genug wäre, hatte zu allem Überfluss auch noch die Bücherhalle zu. Wie öde ist das denn?

Auch sonst war eigentlich alles geschlossen, was ich so kannte. Die Schule. Zu. Der Sportverein. Zu. Supermärkte. Zu. Die Drogerie. Zu. Der Allgemeinarzt um die Ecke. Auch zu. Als Kind machte ich mir richtig Sorgen. Was passiert, wenn wir zu Hause über die Weihnachtstage nicht genug Essen haben? Werden wir verhungern? Was ist, wenn Klopapier ausgeht? Zahnpasta? Milch? Was ist, wenn ich plötzlich Zahnschmerzen bekomme? Oder Fieber? Oder Heißhunger auf Lakritze habe? Ja, richtig. Wo krieg ich in den Weihnachtstagen Lakritze her, verdammt?

Weihnachten ist eine Zwangspause. Unerträglich für abenteuerlustige Kinder, denen an Weihnachten keine Geschenke winken. Deswegen hätte ich damals nie gedacht, dass Weihnachten jemals ein Teil von mir wird. Tatsache ist aber, dass Weihnachten eigentlich das Beste ist, was einem erwachsenen Menschen passieren kann.

Bild: privat

kommt aus Hamburg, lebt derzeit in Kairo und betreibt das Blog Ein Fremdwörterbuch.

Kein Fernsehen und keine Arbeit. Dafür viel Familie und Freunde - sofern man sie zu schätzen weiß. Jedes Jahr, um die Weihnachtstage herum, treffe ich endlich diejenigen Lieben, die über den ganzen Globus verteilt sind - Menschen, mit denen ich es das ganze Jahr über nicht schaffe, zusammenzukommen. Kurz vor Weihnachten reisen wir alle in die Heimatstadt, treffen unsere Familie, Verwandte und Freunde.

Wir tauschen Geschenke aus und taufen das dann "Baynachten": eine Kombination aus Weihnachten und Bayram, dem muslimischen Fest. Obwohl wahrscheinlich die meisten deutschen Muslime zu Hause keinen Weihnachtsbaum stehen haben, keinen blinkenden Weihnachtsschmuck an den Fenstern und sich gegenseitig keine "frohen Weihnachtstage" wünschen, sind es doch die Weihnachtstage, die ihnen die Gelegenheit geben, besinnlicher zu werden und einander zu besuchen.

Die Feierstimmung und die permanenten Versuche, ein wenig netter zu sein, finden erstens auch Muslime erfreulich und zweitens sind sie ansteckend.

Deshalb ist Weihnachten mehr als ein Fest der - mehr oder weniger praktizierenden - Christen oder autochthonen Deutschen in Deutschland. Weihnachten ist auch ein kulturelles Fest, eine Stimmung, ein Gemütszustand. Und den können alle teilen. Vor zwei Tagen kaufte ich mir am Flughafen kurz vor dem Flug nach Hamburg eine Brezel beim Bäcker. Augenzwinkernd steckte mir die Bäckersdame eine Lakritzstange in die Tüte und wünschte mir frohe Weihnachten. Danke, die werde ich haben. Und die Lakritze gebe ich meinen kleinen Brüdern, die sich wieder einmal furchtbar langweilen werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kübra Gümüsay
Jahrgang 1988. Autorin des Bestsellers "Sprache und Sein" (Hanser Berlin, 2020). Bis 2013 Kolumnistin der Taz. Schreibt über Sprache, Diskurskultur, Feminismus und Antirassismus.

13 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • GN
    Graf Nitz

    Meine Güte - konservative religiöse Fundamentalistin, muss so eine hier ein Podium bekommen? Als nächstes kommt der Ostpreussenvertriebenbund und fabuliert.

     

    Euer Adelsspross

  • B
    Berne

    Na klar "Agnostikerin" taz-LeserInnen sind ja auch ansonsten für Ihre "Verteidigung des christilichen Abendlandes" bekannt, für ihre Religiosität usw.

    Das ist todsicher der einzig denkbare Grund dafür, dass diese Autorin so viele ablehnende Kommentare bekommt.

    Mit der Qualität ihrer Texte darf es natürlich nichts zu tun haben, vollkommen undenkbar.

     

    Kübra Gümüsay hat einfach nichts Aufklärerisches, nichts Emanzipatorisches zu sagen (ok, so gesehen passt sie wiederum gar nicht so schlecht in die gegenwärtige taz, für die gilt das eigentlich auch.)

    Sie stellt keine Verhältnisse in Frage und hat nie etwas am konkreten Verhalten von irgendwelchen konkreten Menschen zu kritiseren, es sei denn, man kann an diesem Verhalten etwas islamfeindliches finden.

     

    Frausein, Jungsein und Muslinsein ist alles drei fraglos nicht immer einfach und bringt alles jede Menge Diskriminerungen mit sich.

    Es ist aber alles drei auch keine Leistung; es beinhaltet auch nicht per se irgendeinen besonders erkenntnisreichen Blick auf die Dinge.

     

    Bei Kübra Gümüsay ganz sicher nicht.

    Wenn die Bild nicht ein Paradebeispiel für die Diskriminierung von Frauen und Muslimen wäre, wären ihre Texte dort genau so gut aufgehoben.

  • S
    Steffi

    Aha, also für Erwachsene ist es okay, sich was zu schenken und Freunde zu treffen, aber Kinder haben sich gefälligst zu langweilen, bis sie endlich erwachsen sind.

     

    Die totale Arroganz von Erwachsenen scheint eine wirklich kulturübergreifende anthropologische Konstante zu sein.

  • C
    Charly

    tolle Kolumne und immer wieder eine Freude Ihre Texte lesen zu dürfen.

    Danke und ebenso wünsche ich ein fröhliches Beinachtsfest

  • DT
    Das Taschentuch

    Warum weiß man bei dieser Autorin immer - wirklich immer - vom ersten Satz, mit welcher schmalzigen Katharsis der Text zuende geht? Diese Berechenbarkeit ist noch schlimmer als die reaktionären Ansichten der Frau G. (Ex Y.)

  • H
    Hagen

    Wann schreibt denn jemand mal eine Replik - Christ macht sich über muslimische Feste lustig?

  • L
    Lola

    Endlich ein Thema, das der Autorin eine Kongruenz von Inhalt und Stil ermöglicht. Genauso langweilig wie die beschriebenen Weihnachtsfeiertage ist auch die Kolumne! Vielleicht sollte eine Zusammenarbeit mit der ARD bedacht werden? Das Wort zum Sonntag könnte doch endlich einmal religiös erweitert und damit erneuert werden... In diesem Sinne Friede, Freude, Eierkuchen für alle!

  • BN
    BRUNO ( NICHT PROBLEM BÄR)

    Sehr geehrte Frau Kübra Gümüsay,

     

    welch WUNDERBARER ARTIKEL, wenn sie nicht schon versprochen wären, dann würde ich sofort, hier, und heute Abend noch zum Islam Konvertieren, nur allein um sie dann Heiraten zu dürfen!!!

     

    Herzlichst, ihr sonderbarer Verehrer!!! ;o)

  • BN
    BRUNO ( NICHT PROBLEM BÄR)

    Bitte ihren kommentarischen Sondermüll hier eingeben

     

    # ;o) #

     

    Es Grüßt der Kommentatoren Stalker

  • A
    Aleia

    Ein schöner Artikel, der Weihnachten aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet. Dass man die Weihnachtsstimmung auch ohne christlichen Hintergrund genießen kann, wurde mir im Gespräch mit einer älteren vietnamesischen Bekannten klar, die mit ihrer Familie 11 Jahre in Deutschland gelebt hatte, aber nicht wusste, dass Weihnachten etwas mit dem christlichen Glauben zu tun hat. Sie war sehr verblüfft, als wir ihr erklärten, dass an Weihnachten eigentlich Christi Geburt gefeiert wird. Naja, wenn das schon 10% der Deutschen nicht wissen, ist das kein Wunder...

  • GN
    Graf Nitz

    Das war ja ein richtig warmherzige Artikel, kam überhaupt nicht herablassend rüber.

     

    NOT!

  • LG
    Leandra Gerster

    Guten Tag Frau Gümüsay

     

    Ich finde Ihre Kolumne super und wunderschön formuliert. So sehe ich Weihnachten nun auch!

  • A
    Agnostikerin

    Bevor hier die ersten der üblichen feindseligen Kommentare (so weit kommt's noch, Weihnachten ist ein christliches Fest, Untergang des Abendlandes etc. pp.) auftauchen, schnell von mir ein Dankeschön.

     

    Obwohl ungläubig, mag ich Weihnachten trotzdem. Nichts für ungut, all ihr gläubigen Christen - ich habe nichts dagegen, daß ihr das Fest als religiöses Ereignis seht. Für mich geht's aber auch ohne. Ich freue mich zu Weihnachten v.a. darüber, daß wir die dunkelste Zeit des Jahres endlich hinter uns haben und daß es wieder aufwärts geht ...