Kolumne Das Tuch: „Nur weil ich schwarz bin“
Eine Gratwanderung zwischen dem ewigen Opferdasein und dem schwätzenden Clown: Wenn Hilferufe im Gelächter untergehen.
I ch musste den Kurs an der Universität abbrechen“, sagt Mariam, als wir gemeinsam mit anderen Teilnehmern einer Konferenz in einem Restaurant sitzen. Wir alle kennen uns nur flüchtig. Dann hält Mariam inne und zögert. Sie zupft an ihrem Kopftuch.
Wir anderen wissen, welcher Satz folgen wird. „Es lag an meinem Kopftuch“, sagt sie, wie erwartet. Ein bisschen betroffen schauen wir, es schwebt Verdacht in der Luft. Misstrauen gegen Mariam, das Opfer. Ist das jetzt eine bequeme Ausrede? Schiebt sie ihren Misserfolg auf andere? Stimmen flüstern in unserem Kopf.
In den nächsten Minuten wird klar, dass der Verdacht in ihrem Fall absolut unbegründet war. „Du hättest klagen müssen“, sagen wir sogar – übereifrig im schamhaften Versuch, unsere Zweifel von vor wenigen Minuten zu vertuschen und die Stimmen zu bestrafen.
ist Bloggerin, Journalistin und taz-Kolumnistin.
Aber der Zweifel war da. Der Zweifel ist da. Denn Rassismus kann man selten beweisen. Er ist subtil. Manchmal ist es der Ton eines Wortes, der Blick, die Art, die Mimik, Gestik, die einem zu verstehen gibt, dass man unerwünscht ist. Ein Unwohlsein macht sich breit. Ein Gefühl, dessen Ursache sich nicht beweisen lässt. Der Hilflosigkeit folgt die Resignation und dieser schließlich der Zweifel: „Vielleicht bin ich ja schuld daran, und vielleicht bilde ich mir das alles ja sowieso nur ein“, sagt sich der Betroffene, und irgendwann wird der Rassismus zur Normalität.
Und während ich diese vielen Texte über Rassismus schreibe, frage ich mich: Was, wenn Rassismus nicht mehr normal, sondern allein der Vorwurf rufschädigend wird? Wenn sich das potenzielle Opfer plötzlich in der Machtposition befindet?
Potenzielle Opfer sind nicht per se die besseren Menschen. Sie sind nicht davor gefeit, selber Täter zu werden. Unter Türken, Arabern, Schwarzen, Frauen, Juden, Homosexuellen und sonst wie diskriminierten Gruppen gibt es genauso schlechte Menschen wie anderswo auch.
Was also, wenn gerade die nachteilige Unbeweisbarkeit des Rassismus von potenziellen Opfern missbraucht wird?
„Nur weil ich schwarz bin“ war so ein Dauerbrenner in meiner Klasse. Wann immer sich jemand von Lehrern ungerecht behandelt fühlte, murmelte er diesen Satz. Wir lachten dann darüber. Manchmal aber, wenn ein bisschen Ernst dabei war, grinsten wir nur.
Dieser Satz war eine Gratwanderung zwischen dem ewigen Opferdasein und dem schwätzenden Clown. Der eine benutzte ihn zu seiner reinen Belustigung. Der andere meinte ihn ernst, aus ihm sprach der Verletzte. Doch wir sagten diesen Satz so oft, gebrauchten ihn so inflationär, dass er seine Wirkung verlor. Der Ernst war nicht mehr zu unterscheiden vom Witz. Der Hilferuf ging im Gelächter unter.
Was, wenn die Unbeweisbarkeit des Rassismus irgendwann den Missbrauch nicht vom Ernst unterscheiden lässt? Wenn es ausreicht, „Rassist!“ zu rufen, um jemandem auf ewig zu schaden? Und wir deshalb in einem Restaurant sitzen und zögernd und zweifelnd der Geschichte eines Opfers lauschen?
Dann schadet der Schaden den eigentlich Geschädigten.
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