Kolumne Das Schlagloch: Selbst der Papst wird grün
Die deutsche Politik versperrt der jetzt möglichen ökologischen Wende den Weg.
A uf dem Dach der Audienzhalle des Papstes wird heute eine Solaranlage eingeweiht. Und, wer weiß, vielleicht vergisst Benedikt XVI. sogar seine Furcht vor pantheistischen Verirrungen und betet den Sonnengesang des heiligen Franziskus: "Gelobt seist Du, Herr, durch die edle Herrin Sonne, die uns den Tag heraufführt und Licht mit ihren Strahlen spendet."
Pro Jahr liefert die Solaranlage 300.000 Kilowatt und spart 315 Tonnen CO2. Am Dreikönigstag hatte SolarWorld sie dem Papst geschenkt. "Wenn die Weisen aus dem Morgenland heute nach Bethlehem gingen", sagte der Chef des drittgrößten Solarkonzerns der Welt, Frank Asbeck, "dann trügen sie vermutlich neben Gold, Weihrauch und Myrrhe auch eine Solarzelle mit sich. Sie ist Symbol für die Bewahrung der Schöpfung und für die Energieversorgung der Zukunft." Nun sind 2.000 Module montiert - und eine Woche später wird dem Vatikan in Berlin der Europäische Solarpreis verliehen. Der Heilige Stuhl möchte die Annahme des Preises als weltweites demonstratives Signal gewertet wissen.
Weltweite Signale kommen in diesen Tagen von vielen, die in der großen Krise eine große Chance für die politische Umsetzung des Bewusstseinswandels sehen, der in den reichen Ländern längst eingesetzt hat. Die UN-Umweltbehörde Unep fordert einen "Global Green New Deal". Die "größte Geldspritze in der Geschichte der Weltwirtschaft" müsse genutzt werden, um den globalen Umbau der fossilen Wirtschaft energisch voranzutreiben. Außerdem gibt es, so Weltbank-Chef Robert Zoellick, auch einen ökonomischen Grund für ein solares Crashprogramm: Die Finanzmärkte würden derzeit mit Liquidität geradezu "überschwemmt". Das Geld müsse dem System wieder entzogen werden, wenn es nicht zu einer neuen, gigantischen Blase führen soll. In den USA kündigt Barack Obama eine hunderte von Milliarden schwere Initialzündung für einen nachhaltigen Infrastrukturausbau an. Dagegen dürften die 1,5 Milliarden, mit denen unsere Regierung die Konjunktur beleben will, kaum größere Anstöße für einen Energiewandel geben.
In den letzten beiden Jahren sind zwei historische Chancen vertan worden: 2007 erschütterte der Klimaschock für ein paar Monate die öffentliche Meinung. Die Bereitschaft für eine Wende im Energie- und Konsumverhalten war groß, aber die große Koalition der Weitermacher konnte sich nicht einmal zu kräftigen Gesetzen zur Kraft-Wärme-Koppelung, Häuserisolierung oder gar zur Ökologisierung des Verkehrs durchringen. Am letzten Montag ist in Berlin der "Fortschrittsbericht" der Exekutive vorgestellt worden. Der "Nachhaltigkeitsrat" der Kanzlerin hat dazu Anmerkungen gemacht, die auch im diplomatisch formulierten Endbericht vernichtend sind. Ob es um notwendige Investitionen in ein neues Verkehrssystem, um das Tempo der Energiewende oder um die Raumordnung geht - der Rat tadelt die wortmächtige Ankündigungen ("auf den Weg gebracht", "angestoßen", "initiativ geworden"). Denn für deren Durchsetzung fehle alles, was Politik erst verbindlich macht: neue Entscheidungsstrukturen, die Bereitstellung von Mitteln und Personal, ein neues Steuer- und Steuerungssystem. Und, am beschämendsten: Die Bürger, so stellt der Rat fest, seien schon viel weiter, in tausenden von Initiativen auf kommunaler und regionaler Ebene. Selbst das Bewusstsein, dass es "nicht ohne Verzicht auf manches, an das wir uns gewöhnt haben", abgehen wird, sei in der Bürgerschaft so groß, dass die Politik doch "Kraft und Mut" finden könnte, "grundlegende Richtungsänderungen" einzuleiten, auch gegen die "enormen Widerstände".
Die Chancen zu einem "grünen" Ausweg aus der Krise scheinen vertan, kaum dass er gedacht ward. Selbst bei den Grünen haben sich die Befürworter einer "Apollo-Politik" (bis 2030 hundert Prozent des Stroms mit erneuerbaren Energien zu erzeugen) gegen die weichen Formulierungen der Koalitionsoptionäre an der Spitze nicht durchgesetzt. Und die SPD-Führung atmete erleichtert auf, unterstützt von einer fast unisono kommentierenden Presse, als das radikale Energieprogramm für Hessen nicht auf den Prüfstand der Realität kam. Überhaupt die Presse: Viele Monate lang ist Hermann Scheers Plan, durch Modernisierung der Raumordnung (in Hessen dürfen heute auf 99,6 Prozent der Landesfläche keine Windräder gebaut werden) einen Sprung nach vorn zu administrieren, nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen worden. "Träumerei" war noch das mildeste Wort.
Was für ein Mangel an Fantasie und Recherche bei denen, die doch die öffentliche Fantasie anregen sollten! Deren Aufgabe es wäre, das Mainstreamdogma zu überprüfen, das besagt, staatliches Wirtschaften dürfe auch im Zeitalter der Klimakatastrophe nur die Ausnahme sein. Denn diese Haltung ist geschichtsvergessen: Immer hat der Staat eine zentrale Rolle gespielt, wenn neue Basistechnologien entstanden. Der Übergang von der Kutsche zur Bahn, von Dampf zu Elektrizität, die Infrastrukturen von Radio, Flugzeug und Computer - sie alle brauchten massive staatliche Investitionen. Die kommende Solare Revolution allerdings ist - anders als die vorigen technischen Umwälzungen - nicht mit den hochkonzentrierten, global kartellierten Strukturen des späten Kapitalismus kompatibel. Umso mehr erfordert sie kraftvolle Politik. Das könnte mit Windrädern entlang der Autobahn, mit Solardächern auf allen öffentlichen Gebäuden beginnen, mit grundlegenden Änderungen der Raumordnung, mit harten Richtwerten für Gebäudeisolierung und Heizung.
Alles das ist tausendfach durchgerechnet worden, aber die Mantren von Nutznießern der alten Ordnung und im Korporatismus Erstickten lautet: Ohne weltweite CO2-Regelungen ist es unzumutbar für deutsche Autobauer, Hybridfahrzeuge zu bauen; dezentrale Energieversorgung gefährdet den Industriestandort; nur globale Regeln können deutsche Banken zu nachhaltigem Kreditverhalten zwingen. Das ist natürlich Unsinn, der Fortschritt hat noch nie gewartet, bis eine globale Zentralbehörde ihn genehmigt hat.
Einstweilen also entsteht die Zukunft an den Politikern vorbei. An tausend Orten in diesem Land regt sich Aufbruchswille, aber keine Partei bündelt ihn politisch. SolarWorld ist das drittgrößte Unternehmen der Branche weltweit, aber der Erfolgsunternehmer Asbeck wurde im Rotationstempo als "Paradiesvogel" und "schillernde Figur" abgemeiert, als er vorschlug, mit Opel und Staatshilfe den Weg zum solar betriebenen Automobil (ein genialer Ausweg aus dem Speicherproblem der Fotovoltaik) zu beschleunigen. Hermann Scheer, der fast im Alleingang das Energie-Einspeisungs-Gesetz durchsetzte, wird nach Helmut Kohl zum zweiten deutschen Ehrenprofessor der Universität Schanghai und von der amerikanischen Gouverneursversammlung bejubelt. Doch die SPD verzichtet darauf, seine Expertise und seine Erfolge zu nutzen. Dafür hält er heute in Rom die Festrede, und vielleicht wird der Papst die beiden Pioniere ja mit Matthäus 13, Vers 57 trösten.
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