Kolumne Das Schlagloch: New Deal nach dem Crash

Die Krise bietet die kleine Chance, wieder nach der Gestaltung des Kapitalismus zu fragen.

Es sind die Tage der Techniker. Mit dem Einsatz von anderthalb Bundeshaushalten werfen sie die großen Räder wieder an; mit der Verpfändung unserer zukünftigen Steuern "garantieren" sie unsere Spareinlagen. Was passiert, wenn die Starthilfen nicht greifen, mag sich niemand vorstellen; wie die Konjunktur trotz der Generalsubvention im nächsten Jahr aussieht, kann niemand voraussagen. Für "Wohltaten", Renten, Bildung, für "Fordern-und Fördern"-Klienten wird es enger.

Die DAX-Unternehmen hingegen, so der Finanzminister, sind weiterhin "gut aufgestellt". Die Börse sieht das auch so, einstweilen. Für ein paar Tage also kann Ruhe einkehren. Die Talkshows können sich anderen Themen als der "Gier" zuwenden, die peinlichen Bekehrungsbekenntnisse der Markt-Ultras zum Staat werden wieder leiser, selbst Oskar Lafontaine bekennt sich zum Notopfer fürs Kasino, aber auch er hat keine Antwort, die "weiter trägt als von hier bis zur nächsten Festveranstaltung". Nichts wird mehr so sein wir früher - das haben wir oft gehört in den letzten zwei Wochen. Wie wahr. Aber was die Zukunft hergibt, das hängt davon ab, ob es Politiker geben wird, die mehr wollen als steuerfinanzierte Sicherheitsnetze für Systemrisiken, mehr als besser kontrollierte Private Equity, gut geregelte Hedgefonds, Ethik-Katechismen für Spekulanten und, am besten, den IWF als oberste Finanzbehörde.

Viel wird davon abhängen, welche "Experten" welche Interpretation des Crashs zur öffentlich bestimmenden Meinung machen: Waren es nun nur die faulen Hypotheken der verarmenden Mittelschichten in den USA, oder war die Krise das Ergebnis einer langen Periode (seit 1989) "hoher Liquidität und wachsender Komplexität der Institutionen im Finanzsektor"? So sagt es Larry Summer, einst Clintons Finanzminister, und das heißt im Klartext: Zu lange sind zu viele Billionen frei verfügbaren (oder virtuell erzeugten) Geldes destruktiv verspielt worden, statt reale Produktionen realer Dinge zu finanzieren.Das ist eine "linke" Interpretation.

Aber während die Jusos, die Junge Welt, Attac oder andere Machtzuschauer jetzt die "Systemfrage" wiederkäuen, sind einige Akteure des "Systems" schon weiter. Thomas Meyer etwa, der Chefökonom der Deutschen Bank für Europa, plädiert neuerdings, so wie die Sprecherin des Repräsentantenhauses der USA, Nancy Pelosi, für ein "gigantisches, schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm" - für Staatsinterventionen also, die weit über Bankenreparatur hinausreichen. Angesichts solcher keynesianischen Erweckungserlebnisse wächst der Bedarf an Politikern und Meinungsführern, die solche Vorschläge "nicht links oder rechts nennen: das ist die Sprache von Erstsemestern" (F. D. Roosevelt), sondern in den Rahmen eines globalen New Deals stellen.

Derzeit gibt es aber weder theoretische Konzepte oder Strategien noch Staatsmänner oder -frauen, von denen zu erwarten ist, dass sie in den nächsten Monaten die vier Dimensionen der globalen Krise verknüpfen: das destruktive Viereck von überfluteten Finanzmärkten, wachsendem Gefälle zwischen Reich und Arm, Energiekrise und Klimawandel. Genau hierin aber besteht die - geringe - Chance dieser Krise, denn "im gegenwärtigen Augenblick erwarten die Menschen mehr als sonst eine grundlegendere Diagnose, sind sie ganz besonders bereit, sie aufzunehmen, begierig, sie auszuprobieren, wenn sie nur einigermaßen annehmbar sein sollte". Das schrieb John Maynard Keynes - sechs Jahre nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 und zwei nach dem Beginn von Roosevelts "New Deal", der Arbeitsbeschaffung, Mindestlöhne, Investitionslenkung, Gewerkschaftsrechte, Ökologie und Sozialpolitik kombinierte und dessen Aufbruchsoptimismus hunderttausende junge Intellektueller und Künstler ansteckte.

Davon zu lesen wärmt das politische Herz, aber es ist lange her. Die Institutionen sind komplizierter geworden, die Wirtschaft globaler und die Welt enger. Aber dachten wir nicht noch vor einem Jahr, als die IPCC-Berichte für ein paar Wochen ein Klima der Dringlichkeit erzeugten, jetzt werde ein Ruck durch die Gesellschaften des Westens gehen? Durften wir da nicht mit einer Investitionsschwemme für Hausisolierungen und dezentrale Energien rechnen, gar mit einer öffentlich finanzierten Verkehrsrevolution und einer Vorreiterrolle des Staates beim zukunftsfähigen Umbau von Gebäuden, Städten und Regionen?

Die Chance wurde, nach reichlicher Rhetorik, vertan - obwohl die Menschen doch eben "ganz besonders bereit" schienen. Unter den Krisenmeldungen dieser Tage blieb für die Nachricht, dass die CO2-Werte dramatisch schneller steigen als noch vor einem Jahr angenommen, nur ein paar Quadratzentimeter. Seien wir also realistisch, stellen wir die Systemfrage nur im Lektürekreis und fordern wir das Unwahrscheinliche, aber Notwendige: die staatlichen Rettungsaktionen zu verbinden mit dringlichen Investitionsprogrammen.

Den Kapitalismus retten und den Kapitalismus zur Rettung rufen. "Greening the bail-out" nennt Thomas Friedman das in der New York Times, das heißt so viel wie: die Rettungspakete mit grünem Inhalt füllen. Eine Woche später erschien dort eine zukunftsfrohe Reportage über höchst erfolgreiche grüne Venture-Kapital-Financiers, die sich von dezentral einsetzbaren Kleinstelektrizitätswerken für Afrika das Geschäft ihres Lebens versprechen. Und keine Probleme mit den Finanzmärkten haben.

Wenn diese Krise der Geldmärkte - die erste wirklich globale Krise, seitdem die ganze Welt kapitalistisch geworden ist - dadurch hervorgerufen wurde, dass die Billionen, die die Welt überfluteten, wenig besseres bewirkten, als Firmen zu zerlegen, Finanzspiele zu ersinnen und Überflusskonsum zu kreditieren, dann kommt es jetzt darauf an, dass Banken wieder das werden, was hochgestimmte Bänker bei Festveranstaltungen sagen: Rationale Sammelstellen, durch die Geld zu Kapital wird, das dorthin fließt, wo es gebraucht wird: in die Finanzierung von Zukunftsindustrien, Infrastrukturen und die Produktion nützlicher Dinge und nachhaltigem Wachstum, bei uns und in den ärmeren vier Fünfteln der Welt.

Money is good for you. Natürlich ist dies eine vermessene Erwartung: dass die Regierungen der Welt auf einen Schlag die Billionen, die sie jetzt ohne Auflagen in die bloße Sanierung der alten Finanzinstitutionen stecken, direkt oder indirekt in die Finanzierung etwa eines "Global Solar Booms" lenken - selbst wenn volkswirtschaftlich alles dafür spräche. Schon die ersten kleinen Schritte in diese Richtung wurden verweigert: Die deutschen Steuermilliarden werden fließen, ohne dass die Regierung wirkliche Mitgestaltungsrechte über das Bankgebaren erhält. Immer noch heißt der Teufel "Investitionslenkung", "Vertrauen" soll alles richten. Bis jetzt haben die Retter des Finanzuniversums nur den Finanzhimmel vorm Einsturz bewahrt; wir Spatzen, die einstweilen überlebt haben, müssen jetzt kräftig piepsen, um zu sagen, wie wir uns die Welt darunter vorstellen. Damit nichts so bleibt, wie es war.Mit der Verpfändung unserer zukünftigen Steuern "garantieren" die Politiker unsere SpareinlagenDie staatlichen Rettungsaktionen müssen mit Investitions- programmen verbunden werden

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