Kolumne Das Schlagloch: Du bist 7,99
Konsum und Klassenkampf: Die Kaufhäuser sterben, Medienmärkte, Landhausmode und KiK übernehmen das Erbe und demütigen die Armen.
Weihnachten ist vorbei, puuh. Na, schön konsumiert? Wünsche erfüllt, Geschmack getroffen? Die Ware, sagt der olle Marx, ist eine "gesellschaftliche Hieroglyphe". Jenseits von Habenwollen und Wegwerfen muss man sie entziffern.
Dabei liegt die richtige Bedeutung der Ware natürlich weit jenseits des Gebrauchswerts. Es geht vor allem darum, was ich damit ausdrücken kann. Ach was, viel mehr: was ich damit werde. Eine Person, bestenfalls. Deswegen beschleicht uns ein wenig nostalgische Wehmut, wenn wir jetzt den großen Kaufhäusern mit ihrer glanzvollen Inszenierung der Ware und den Versandhäusern beim Sterben zusehen, deren Kataloge einst, literarisch und ikonografisch, der größte ästhetische Grundlagenvertrag unserer Gesellschaft waren. Nicht das Grundgesetz, nicht die Klassiker-Liste des Deutschen Bücherbundes und nicht die Tagesschau - der heilige Text unserer Halb-Nation waren die Kataloge von Quelle und Neckermann. Und die Kleinbürgerhölle war ein muffiges, aber offenes System.
Neben die Bau-, Media- und Möbelmärkte, die weit geschlossenere Design- und Gebrauchssysteme anbieten als das Warenhaus, diese konkrete Utopie der kapitalistischen Klassenmischung, neben die konzernstalinistischen Zwangsernährungsfabriken der LidlPennyAldiRealNettoAllkauf treten nun die Läden, die nun wieder radikal die Klassengegensätze betonen. Der Einzelhandel entdeckt die "neue Unterschicht". Im kulinarischen Diskurs sind die Ränder noch unscharf; man sieht Leute mit dem S-Klasse-Mercedes beim Lidl vorfahren. Beim Dresscode aber hört der Klassenspaß auf. Da lässt sich so schnell keiner im falschen Laden erwischen.
Nur ein Beispiel: der KiK-Laden (Sie kennen diese unangenehm quäkende Kinderstimme eines sprechenden roten Hemdes aus der Fernsehwerbung, oder?) und die Landhaus-Mode.
In der Text/Bild-Produktion hat KiK das Katalogprinzip vom Versandhaus übernommen und die Waren-Inszenierung vom Kaufhaus. Gleichzeitig ist der Katalog ein Bild-ähnliches Blättchen. Die Inszenierung der Ware ist nicht mehr von Glanz und Fantasie geprägt, sondern von einer scheinbar bewussten Lieblosigkeit.
Letzten Monat warb der sechsblättrige KiK-Katalog mit der Ikone der deutschen Clever-blöd-sein-Kultur auf dem Titel: "Besser als wie man denkt!" Darunter: "Eure Verona Pooth". Auf diesem Titelbild gibt es eine Damen-Nickijacke zu 7,99 und Damen-Nickihosen, ebenfalls je 7,99. Zu den anderen Models in diesem kleinen Katalog gehört eine weitere Blondine, die entschieden übergewichtig ist und für Damen-Pullover wirbt, die es in 1XL bis 5XL je 9,99 (mit Gummizug) gibt.
KiK, so erfahren wir auf der letzten Seite, gibt es über 2.800-mal europaweit, und außerdem sucht man immer noch neue Ladenlokale und 1.000 Azubis für August 2010. Im ganzen Katalog gibt es nichts, was über 10 Euro kostet, Hosen, Jacken, Dessous, Pullover inbegriffen. Die Hölle als Gesamtkunstwerk ist in eine kurze Biografie gekippt: Was mit den Nickijacken beginnt, führt besser als wie man denkt über Strickjacken und Ohrringe zu Herrenhemden und Hosen (mit Nadelstreifen, echt jetzt), zu Dessous in Pink und dann zu Baby-Waschlappen.
Was die Models und was die Mode anbelangt, so scheint es sich um mehr oder weniger erfüllbare Träume zu handeln. Jenseits vom KiK-Maskottchen am Kettchen von Frau Pooths Hals gibt es keine Geschichten mehr, keine Verheißungen, keine Traumbilder, das Ding selber muss genügen. "Enjoy the Journey" steht auf dem Poloshirt der "starken Frau", aber von einer Reise ist hier nichts zu ahnen. Nicht einmal die Kinder haben Spielsachen, und die Herren tragen zwar auf der letzten Seite des KiK-Katalogs Trainingsanzüge, es sieht aber nicht so aus, als wollte man ihnen irgend sportliche Betätigung abverlangen.
Im Prinzip spricht KiK-Kleidung davon, dass es nicht mehr notwendig, auch nicht besonders erstrebenswert sei, Persönlichkeit zu produzieren, jedenfalls weder durch Kleidung noch durch Ambiente. Stattdessen scheint wesentlich, in irgendeiner Weise bezeichnet zu sein und nicht weiter aufzufallen. Folgerichtig besteht eine der KiK-Stickereien auf Damen-Poloshirts nur aus der Zahl "62". Es ist nicht so, dass KiK der "neuen Unterschicht" die Kleidung liefert, so wie ihr Lidl die Nahrung liefert, sondern, anders herum, der KiK-Katalog und die Dramaturgie eines Lidl-Discounters erschaffen die Kultur der "neuen Unterschicht": dumm, übergewichtig, geschmacklos. So sind die Menschen nicht, so werden sie gemacht in einer Warenwelt, die nichts anderes mehr verspricht als traumlose Versorgung. "Besser als wie man denkt" gibt sich gar keine Mühe, zu verbergen, dass es sich um eine Art Gefängniskleidung handelt; das Ghetto drumherum ist so bekannt, dass wir es nicht einmal mehr andeuten müssen.
Wie ganz anders, nur zwei Straßen weiter, der Outlet-Laden für Trachten- und Landhausmoden. Auf den Preis für diese "volkstümliche" Kleidung muss man hier nicht achten, dafür wird mit Glücksverheißungen nicht gespart: Der Besitzer dieser Kleidung hat sich Natur angeeignet, Vitalität, Sexualität und Sentiment eines Landvolkes. Im volkstümlichen Diskurs verteidigt sich das übrig gebliebene reaktionäre deutsche Kleinbürgertum semiologisch gegen die zwangsglobalisierte, neutralisierte neue Unterschicht. Leinen und Dirndl zeigen sowohl eine nationale und "völkische" Zugehörigkeit als auch eine der Klassen.
Aber da steckt noch etwas ganz anderes dahinter: Während sich nämlich der Körper der KiK-gekleideten Unterschicht in der Öffentlichkeit bis zur Unsichtbarkeit abdämpfen soll und alles Sexuelle in den Innenraum verlagert, provoziert der Landhaus-Look mit seiner "volkstümlichen" Mischung aus Nuttigkeit und Regression, Angeberei und Obszönität ebenso bewusst. Wo ein Mensch im "Landhaus-Look" ist, da ist kein Platz für irgend anderes. Während die KiK-Mode den Verlierer immerhin in seiner Unsichtbarkeit beweglich macht, ist die Landhaus-Mode gerade darauf aus, soziale Räume radikal und unbarmherzig zu besetzen. Der Krieg der Zeichen ist aufs Neue entflammt, nicht besser, aber tückischer als wie man denkt, auf beiden Seiten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?