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Kolumne Das SchlaglochDu bist 7,99

Kolumne
von Georg Seesslen

Konsum und Klassenkampf: Die Kaufhäuser sterben, Medienmärkte, Landhausmode und KiK übernehmen das Erbe und demütigen die Armen.

Weihnachten ist vorbei, puuh. Na, schön konsumiert? Wünsche erfüllt, Geschmack getroffen? Die Ware, sagt der olle Marx, ist eine "gesellschaftliche Hieroglyphe". Jenseits von Habenwollen und Wegwerfen muss man sie entziffern.

Dabei liegt die richtige Bedeutung der Ware natürlich weit jenseits des Gebrauchswerts. Es geht vor allem darum, was ich damit ausdrücken kann. Ach was, viel mehr: was ich damit werde. Eine Person, bestenfalls. Deswegen beschleicht uns ein wenig nostalgische Wehmut, wenn wir jetzt den großen Kaufhäusern mit ihrer glanzvollen Inszenierung der Ware und den Versandhäusern beim Sterben zusehen, deren Kataloge einst, literarisch und ikonografisch, der größte ästhetische Grundlagenvertrag unserer Gesellschaft waren. Nicht das Grundgesetz, nicht die Klassiker-Liste des Deutschen Bücherbundes und nicht die Tagesschau - der heilige Text unserer Halb-Nation waren die Kataloge von Quelle und Neckermann. Und die Kleinbürgerhölle war ein muffiges, aber offenes System.

Neben die Bau-, Media- und Möbelmärkte, die weit geschlossenere Design- und Gebrauchssysteme anbieten als das Warenhaus, diese konkrete Utopie der kapitalistischen Klassenmischung, neben die konzernstalinistischen Zwangsernährungsfabriken der LidlPennyAldiRealNettoAllkauf treten nun die Läden, die nun wieder radikal die Klassengegensätze betonen. Der Einzelhandel entdeckt die "neue Unterschicht". Im kulinarischen Diskurs sind die Ränder noch unscharf; man sieht Leute mit dem S-Klasse-Mercedes beim Lidl vorfahren. Beim Dresscode aber hört der Klassenspaß auf. Da lässt sich so schnell keiner im falschen Laden erwischen.

Nur ein Beispiel: der KiK-Laden (Sie kennen diese unangenehm quäkende Kinderstimme eines sprechenden roten Hemdes aus der Fernsehwerbung, oder?) und die Landhaus-Mode.

In der Text/Bild-Produktion hat KiK das Katalogprinzip vom Versandhaus übernommen und die Waren-Inszenierung vom Kaufhaus. Gleichzeitig ist der Katalog ein Bild-ähnliches Blättchen. Die Inszenierung der Ware ist nicht mehr von Glanz und Fantasie geprägt, sondern von einer scheinbar bewussten Lieblosigkeit.

Letzten Monat warb der sechsblättrige KiK-Katalog mit der Ikone der deutschen Clever-blöd-sein-Kultur auf dem Titel: "Besser als wie man denkt!" Darunter: "Eure Verona Pooth". Auf diesem Titelbild gibt es eine Damen-Nickijacke zu 7,99 und Damen-Nickihosen, ebenfalls je 7,99. Zu den anderen Models in diesem kleinen Katalog gehört eine weitere Blondine, die entschieden übergewichtig ist und für Damen-Pullover wirbt, die es in 1XL bis 5XL je 9,99 (mit Gummizug) gibt.

KiK, so erfahren wir auf der letzten Seite, gibt es über 2.800-mal europaweit, und außerdem sucht man immer noch neue Ladenlokale und 1.000 Azubis für August 2010. Im ganzen Katalog gibt es nichts, was über 10 Euro kostet, Hosen, Jacken, Dessous, Pullover inbegriffen. Die Hölle als Gesamtkunstwerk ist in eine kurze Biografie gekippt: Was mit den Nickijacken beginnt, führt besser als wie man denkt über Strickjacken und Ohrringe zu Herrenhemden und Hosen (mit Nadelstreifen, echt jetzt), zu Dessous in Pink und dann zu Baby-Waschlappen.

Was die Models und was die Mode anbelangt, so scheint es sich um mehr oder weniger erfüllbare Träume zu handeln. Jenseits vom KiK-Maskottchen am Kettchen von Frau Pooths Hals gibt es keine Geschichten mehr, keine Verheißungen, keine Traumbilder, das Ding selber muss genügen. "Enjoy the Journey" steht auf dem Poloshirt der "starken Frau", aber von einer Reise ist hier nichts zu ahnen. Nicht einmal die Kinder haben Spielsachen, und die Herren tragen zwar auf der letzten Seite des KiK-Katalogs Trainingsanzüge, es sieht aber nicht so aus, als wollte man ihnen irgend sportliche Betätigung abverlangen.

Im Prinzip spricht KiK-Kleidung davon, dass es nicht mehr notwendig, auch nicht besonders erstrebenswert sei, Persönlichkeit zu produzieren, jedenfalls weder durch Kleidung noch durch Ambiente. Stattdessen scheint wesentlich, in irgendeiner Weise bezeichnet zu sein und nicht weiter aufzufallen. Folgerichtig besteht eine der KiK-Stickereien auf Damen-Poloshirts nur aus der Zahl "62". Es ist nicht so, dass KiK der "neuen Unterschicht" die Kleidung liefert, so wie ihr Lidl die Nahrung liefert, sondern, anders herum, der KiK-Katalog und die Dramaturgie eines Lidl-Discounters erschaffen die Kultur der "neuen Unterschicht": dumm, übergewichtig, geschmacklos. So sind die Menschen nicht, so werden sie gemacht in einer Warenwelt, die nichts anderes mehr verspricht als traumlose Versorgung. "Besser als wie man denkt" gibt sich gar keine Mühe, zu verbergen, dass es sich um eine Art Gefängniskleidung handelt; das Ghetto drumherum ist so bekannt, dass wir es nicht einmal mehr andeuten müssen.

Wie ganz anders, nur zwei Straßen weiter, der Outlet-Laden für Trachten- und Landhausmoden. Auf den Preis für diese "volkstümliche" Kleidung muss man hier nicht achten, dafür wird mit Glücksverheißungen nicht gespart: Der Besitzer dieser Kleidung hat sich Natur angeeignet, Vitalität, Sexualität und Sentiment eines Landvolkes. Im volkstümlichen Diskurs verteidigt sich das übrig gebliebene reaktionäre deutsche Kleinbürgertum semiologisch gegen die zwangsglobalisierte, neutralisierte neue Unterschicht. Leinen und Dirndl zeigen sowohl eine nationale und "völkische" Zugehörigkeit als auch eine der Klassen.

Aber da steckt noch etwas ganz anderes dahinter: Während sich nämlich der Körper der KiK-gekleideten Unterschicht in der Öffentlichkeit bis zur Unsichtbarkeit abdämpfen soll und alles Sexuelle in den Innenraum verlagert, provoziert der Landhaus-Look mit seiner "volkstümlichen" Mischung aus Nuttigkeit und Regression, Angeberei und Obszönität ebenso bewusst. Wo ein Mensch im "Landhaus-Look" ist, da ist kein Platz für irgend anderes. Während die KiK-Mode den Verlierer immerhin in seiner Unsichtbarkeit beweglich macht, ist die Landhaus-Mode gerade darauf aus, soziale Räume radikal und unbarmherzig zu besetzen. Der Krieg der Zeichen ist aufs Neue entflammt, nicht besser, aber tückischer als wie man denkt, auf beiden Seiten.

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3 Kommentare

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  • P
    Piet

    Herr Seesslen - sie sprechen vom "Körper der KiK-gekleideten Unterschicht", der oder die angeblich "alles Sexuelle in den Innenraum verlagert" - sind Sie eigentlich blind?

     

    Gibt es denn Menschen in unserer Gesellschaft, die, ob alt oder jung, ihre Körperlichkeit unbekümmerter und selbstbewußter präsentieren als die "Kik-gekleidete Unterschicht"?

     

    Fahren Sie im nächsten Sommer mal nach HH-Jenfeld oder nach B-Marzahn,

    und schauen Sie sich die Menschen an, über die Sie hier so spekulativ schreiben!

  • A
    anke

    Ja doch, ja, ist ja schon gut! Ich will ja gerne glauben, dass er alternativlos ist, der Konsu-mismus. Ohne Ware keine Persönlichkeit, richtig? Dabei: Sterben muss man. Alberne Hieroglyphen entziffern muss nur der, der erst noch jemand werden will.

     

    Die Deutschen wollten wieder jemand werden nach den beiden verlorenen Kriegen. Vor allem deswegen haben sie ihre Warenhäuser zur Lebenslüge aufgerüstet. Leider hatte die "konkrete Utopie" der Herties und Karstadts schon immer spätestens an der Kasse ein Ende. Die vermeintliche Klassenmischung und der "größte ästhetische Grundlagenvertrag" der Deutschen waren von Anfang an nicht mehr als ein riesengroßer Schwindel. Einer, der nur so lange leicht zu glauben war, wie das allgemeine Wachstum angehalten hat. In Wachstumszeiten nämlich kann sich, wer heute noch zu den Schnäppchen greifen muss, spätestens übermorgen in Hochwertiges kleiden, wenn auch zunächst nur in Gedanken. In Zeiten negativen Wachstums ist es eher umgekehrt. Und doch: Mehr Motivation war wohl selten.

     

    Nun werden die Klassengegensätze also wieder betonen. Man grenzt sich ab. Vor allem nach unten. Literarisch und ikonografisch könnte das durchaus spannend werden. (Vielleicht steht uns ja ein neues Rokoko bevor.) In der Alltagspraxis hingegen wird es eher zur weiteren Verödung führen. Insbesondere in den Hirnen derer, die schon jetzt ganz ohne warengestützte Betonung nicht wissen, wer sie eigentlich sind. Ich fürchte, auch der Verfasser dieses Textes zählt zu jenen, die dringend fremder Hilfe bedürfen bei der Entdeckung der eigenen Individualität. Und ganz offensichtlich geht er davon aus, auch seine Mitmenschen würden der kommerziellen Inszenierungen bedürfen, um ein Gefühl ihrer selbst zu entwickeln.

     

    Glanz und Fantasie gegen eine scheinbar bewusste Lieblosigkeit – nun ja, so kann man es sehen. Muss man aber nicht. Schließlich bekommen die aller meisten KiK-Käufer Tag für Tag auch abseits der Konsumtempel gepredigt, dass ihr Wert gegen Null strebt. Und zwar ganz überwiegend von Leuten, die sich des eigenen Wertes nur dann ganz sicher sind, wenn sie ihre Kreditkarte zücken können. Wer also will es der "neuen Unterschicht" (der man von Georg Seesslen offenbar zwangsweise zugeordnet wird, so bald man durch die falsche Tür getreten ist) verübeln, dass sie zu Gunsten kleiner Preise gern auf den längst als Lüge enttarnten Zinnober der auch schon länger nicht mehr hoch bezahlten Werbefotografen verzichten?

    Der "KiK-Katalog" als Höllen-Gesamtkunstwerk? Er wäre nichts ohne Männer wie Georg Seesslen. Sie sind es, die den finanzschwachen Kunden nur all zu gern die traurige Wahrheit in die tränensackwelken Gesichter brüllen: "Für euch gibt es keine Geschichten mehr, keine Verheißun-gen, keine Traumbilder." Schließlich: Wenn die Industrie nicht liefern mag, ist der Kunde nicht König sondern Bettler. Selber träumen war gestern. Heute lässt man fantasieren. Natürlich nur, sofern man es sich leisten kann. Auffallen? Kann allenfalls der, der anderen die entsprechenden Ideen abkauft. Oder stiehlt.

     

    Die taz fragt ihre Leser heute, was sie gern in den "Nullerjahren" zurücklassen würden. Ich persönlich könnte gut auf den dämlichen Dünkel dieser Ich-habe-Geschmack-und-Knete-Typen verzichten. Neokonservativ und stolz darauf: Ich bin Deutschland, du bist 7,99. Es ist wohl doch ausnahmslos jede Dämlichkeit noch irgendwie zu toppen.

     

    Wissen Sie was, Herr Seesslen? Landhausmodeträger sind genau so dumm, übergewichtig und geschmacklos, wie Leute, die sich bei Aldi einkleiden. Sie beziehen ihre angeberische Vitalität, ihre volkstümelnde Sexualität und ihr regressives Sentiment ausschließlich aus der bereitwilligen Dummheit von Typen Ihres Schlages. Wer Dresscodes liest, der benutzt zum Rechnen auch die Finger. Und die Werbelügen, nach denen Sie sich so sehnen, gönne ich denen, die ihre Persönlichkeit bei Quelle bestellen würden. Sogar Tiere träumen selber.

  • T
    Trudchen

    Vielen Dank für diese schöne Schlagloch-Kolumne!

    Ich frage mich: warum kann heute kaum jemand noch stricken, häkeln, nähen? Warum gibt es kaum noch Möglichkeiten, an Stoffe und Strick-, Häkel- und Nähzutaten zu kommen? Mit den letzten Kaufhäusern verschwinden auch die letzten Abteilungen für Stoffe, Wolle und den Kleinkram, den man "Kurzwaren" nannte und ohne den man nichts selber machen kann.

     

    Hört sich vielleicht antiquiert an, aber diese Fähigkeiten bieten einem/einer zumindest die Chance auf etwas Individualtät. Es gibt noch genug Omas, die einem diese Techniken beibringen könnten! Interesse vorausgesetzt...

     

    Dieser Herdentrieb, sich nichts zuzutrauen, nur nicht nachdenken, nur nichts dazulernen müssen, nur nichts ausprobieren und lammfromm zu kik und Co. zu laufen - gibt es den so wirklich? Hoffentlich nicht!!! Mir scheint ein Gutteil Bequemlichkeit dahinter zu stecken.