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Kolumne Das SchlaglochNichts ist unfassbar

Kolumne
von Ilja Trojanow

Ob Oslo oder Somalia: Jede Katastrophe hat Gründe, die zu ihr geführt haben.

G ibt es eine bessere Art, auf Tragödien zu reagieren, als ihre Ursachen zu verstehen, damit sie sich nicht wiederholen und um das schrecklich fatalistische Wort "unfassbar" mit den Opfern zu beerdigen?

Nun werden die Opfer nicht überall in einem Staatsakt unter Anteilnahme Hunderttausender vor laufenden Kameras bestattet. Anderswo werden sie entlang des Weges zurückgelassen, in notdürftig mit den eigenen Fingern in die harte Erde gebuddelten Löchern, damit sie nicht als Futter für Hyänen und Geier enden. Anderswo dauert das Grauen nicht wenige Stunden, sondern Wochen und Monate, und es ist kein Ende in Sicht. Doch sowohl in Norwegen wie auch in Somalia gibt es klare Ursachen für das Sterben, gibt es Verantwortliche und Wege zur Vermeidung ähnlicher Katastrophen.

Die Menschen in Ostafrika sterben massenhaft - doch nicht an einer unglückseligen Dürre, sondern an weitreichenden, systemimmanenten Missständen: am Klimawandel, an neoliberalen Ideologien, militaristischen Interventionen und unbeständigen Getreidemärkten. Angesichts der ökologischen Veränderungen in der Sahelzone von Dürre zu reden ist nach so vielen regenlosen Jahren unpassend. Vielmehr schreitet die Wüste voran - manch eine Region wird endgültig austrocknen.

Bild: gerhard dilger
ILJA TROJANOW

ist Schriftsteller und Weltensammler. Mit seiner Kollegin Juli Zeh veröffentlichte er zuletzt "Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte" (Hanser).

Dieses Schicksal droht nicht nur unbedeutenden Weltenden wie Somalia, sondern auch hochmodernen Großstädten wie etwa Perth oder Las Vegas. Die katastrophalen sozialen Folgen, vor denen uns Klimaforscher seit Jahren warnen, treten nun ein - der Sommer 2011 wird vielleicht in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem die Menschheit erkannte, was ihr blühen wird, wenn sie sich nicht von Wachstumsgier und Profitwahn verabschiedet.

Dürre lässt sich bekämpfen

Trotzdem könnte man den Menschen lokal helfen, wenn es finanzielle Hilfen gäbe für Nomaden, Viehhüter und Kleinbauern, damit sie tiefere Brunnen bohren und Techniken einführen können, um das Regenwasser, das meist sintflutartig niedergeht, zu sammeln. Aber nein, lokale, nachhaltige, landwirtschaftliche Produktion passt nicht in die herrschenden Ideologien, dafür gibt es kaum Geld.

Anstatt traditionelle, arbeitsintensive, aber überwiegend autarke Techniken zu unterstützen, wird "Entwicklungshilfe" überwiegend dazu benutzt, selbst in ökologisch fragile Länder eine konsumorientierte, hochmechanisierte und von fossilen Brennstoffen abhängige Wirtschaft einzuführen (im letzten Jahrzehnt beispielhaft in Afghanistan vorgeführt). Schlimmer noch, gerade am Horn von Afrika, in Äthiopien und Sudan, sind riesige fruchtbare Gebiete an ausländische Investoren verkauft worden, die dort Lebensmittel für eine privilegierte Bevölkerung anderer Kontinente anbauen wollen.

Gründe für den Bürgerkrieg

Das ist ein profitables Geschäft, das aufgrund zunehmender klimatischer Unsicherheit noch lukrativer werden wird. Während der russischen Dürre 2010 hat der größte Rohstoffhändler der Welt, die Schweizer Firma Glencore, an den Börsen auf steigende Weizenpreise gesetzt, während ihre russische Niederlassung den Kreml zu einem Getreideexportverbot drängte - der Nettogewinn stieg auf 2,6 Milliarden Euro. Da das World Food Programme von russischen Lieferungen abhängig ist, haben Preisschwankungen dramatische Folgen für die Hunger leidenden Regionen der Welt.

Auch die politische Brutalisierung Somalias, durch die sich die Lage verschlimmert, hat komplexe Ursachen. Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts toben in Somalia und Äthiopien Stellvertreterkriege, in denen die USA und die Sowjetunion ihre jeweiligen Lieblingsdiktatoren zu unsinnigen Aggressionen ermutigten und diese auch finanzierten. Wie anderswo waren militärische Einsätze leichter zu rechtfertigen und finanzieren als Investitionen in eine veterinäre Grundversorgung. Nimmt man die Überfischung in den Gewässern vor der somalischen Küste hinzu, die zum Aufkommen der Piraterie beigetragen hat, erkennt man die Gründe für einen tödlichen Bürgerkrieg.

Klimaforscher nennen Dürren "schleichende Desaster", weil die Auswirkungen nicht unmittelbar zu spüren sind. In diesem Sinne ist Volksverhetzung eine geistige Dürre.

So viel Hassenergie

Der diskursive Overkill läuft immer wieder nach demselben Muster ab: Ein Autor, eine Publizistin oder gleich eine Achse von Kreuzrittern, die sich erfolgreich als Rächer der Entrechteten und Verteidiger der letzten Zitadelle in Pose geworfen haben, werfen den ersten Kieselstein, in den Kommentaren und Foren werden schwerere und schärfere Brocken nachgeworfen, die rhetorische Steinigung nimmt Fahrt auf, bis einem angst und bange werden kann, wenn man sich vorstellt, dass sich auch nur eine Bruchteil dieser Hassenergie materialisiert - wie jetzt geschehen. Man muss nur einige Lesestunden auf antimuslimischen Webseiten wie "Politically Incorrect" verbringen, um zu spüren, wie vergiftet, wie aggressionsgeladen die Atmosphäre ist.

"Dies mag die Tat eines einsamen, verrückten, paranoiden Individuums sein", hat der Politikwissenschaftler Hajo Funke es auf den Punkt gebracht, "aber das rechtsextreme Milieu schafft die Atmosphäre, die solche Menschen auf den Pfad der Gewalt führt." Das stimmt - nur gilt das Milieu nicht mehr als rechtsextrem, es ist inzwischen mitten im Bürgertum verankert.

Das will manch einer nicht einsehen. Der Chefredakteur der konservativen österreichischen Tageszeitung Die Presse warnte gleich: "Jeder Versuch, die Quellen für die wirren Fantasien eines Psychopaten zur Diskreditierung des politischen Gegners heranzuziehen, kommt einer Ausbeutung der Opfer gleich." Wer sich in den Foren auch seiner Zeitung umschaut, wird feststellen, dass der Attentäter keineswegs ausnehmend wirre Fantasien hatte, sondern gängige, weit verbreitete Ansichten pflegte.

Vieles wird dieser Tage als "unfassbar" bezeichnet. Jedoch ist auffällig, dass die Kommentatoren das Wort erheblich öfter in Zusammenhang mit dem Blutbad in Norwegen als mit dem Massensterben in Ostafrika in Verbindung bringen.

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12 Kommentare

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  • S
    suswe

    das wirklich schmutzige wort in orient und okzident heißt verzicht.

     

    auf sexistische privilegien, religiöse deutungshoheit, lifestyle-food, aktienmärkte...

  • M
    Maria

    Diese Tragödie sollte eine Lehre für diejenigen sein, die die Realität nicht einsehen wollen und das zunehmende Unbehagen der Bürger wegen der ungeregelten Invasion aus nicht-europäischen Ländern ignorieren. Nur die Engstirnigkeit gewisser Politiker kann dieses Problem unterschätzen !

    Die Grauen Wölfe und DITIB sind eine größe Gefahr und die Medien schweigen!

    Die Grauen Wölfe sind unter deutschtürkischen Jugendlichen die einflussreichste Strömung und ein Beispiel für eine Bewegung mit ethnisch-chauvinistischer Ausrichtung. In Deutschland ist die Bewegung vor allem in Nordrhein-Westfalen aktiv. Allein in diesem Bundesland zählen über 70 Vereinen zu den Grauen Wölfen, bundesweit sind es über 200 Vereine, die knapp 10.000 Mitglieder auf sich vereinen. Damit bilden die Grauen Wölfe die größte Organisation unter Migrant/innen, die eine rechtsextreme Orientierung vertritt. Ihr Einfluss zeigt sich unter anderem in Jugendeinrichtungen und Schulen .

  • S
    Stefan

    Sehr geehrter Herr Braun,

    das ist in der Tat eine richtige Feststellung, dass der Artikel nicht alles auf so begrenztem Raum sagen konnte, was man wunderbar auch in anderen Online-Medien beobachten kann. Dafür kann man aber schlecht Herrn Trojanow verantwortlich machen, der lediglich auf die ungleiche Verwendungsweise von 'unfassbar' hinweisen wollte, es war ein klassischer Kurzessay, der von dieser Aufgabe und der Form lebte. Sie können allerdings die taz auffordern in Zukunft mehr davon zu berichten und damit die vielen Dimensionen klarer herauszuarbeiten und dann bei einzelnen "solche® Artikel" dann geduldiger sein. Ich wäre ja selbst ziemlich dumm, wenn ich mich nur auf diesen einen Artikel verlassen würde, oder?

  • H
    Harald

    Was der Autor zum konzerngeführten Getreidehandel, zur Unterstützung der jeweiligen Lieblingsdiktatoren sagt, ist richtig.

     

    Angesichts der Länge des Beitrags, hätte auch ein Wort zu den heute in Afrika agierenden Chinesen, gut getan.

     

    Nunmehr aber schon ausgerechnet! wieder Broder als geistigen Anstifter des Norwegers zu dämonisieren, ist echt schwach.

     

    Sicher, PI ist, vor allem in den Userkommentaren, kein Vergnügen. Das gleiche gilt auch umgekehrt für turkishpress.de und dawa-news.net, deren Nennung in dem Zusammenhang geboten ist.

     

    Wenn die Islamkritik in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, sollte vielleicht mal darüber reflektiert werden, warum das so ist.

     

    Die islamkritische Bevölkerung Deutschlands jetzt einfach in verantwortliche Mithaftung des Attentäters zu nehmen, ist ein ungutes Omen.

     

    Spätestens beim nächsten islamistischen Anschlag in Europa, wird sich zeigen, warum.

  • P
    P.Haller

    Fühlen Sie sich auf den Schlips getreten, Herr Braun ??

    Haben Sie evtl. bemerkt, dass dies eine Kolumne ist und nicht eine wissenschaftliche Abhandlung.

    Und so klar ist es eben nicht (zumindest bei vielen Ihrer Mitbürger), dass "alles irgendwie zusammengehört".

    Und wie Sie schon richtig feststellen, über ganz viele dieser Aspekte, könnte man wahrscheinlich Bücher schreiben, aber das ist ja wohl nicht Sinn dieser Kolumne.

    Dies läuft wohl eher unter dem Motto: "Das muss doch mal gesagt werden". Und das ist auch gut so !

  • MB
    Mr. Bungle

    Dieser Text ist so das konkreteste was ich zu diesem Thema bisher gelesen habe.

    Er ist unbequem - vielleicht ist es das was "Jochen Braun" gemeint hat, bzw. von was er pikiert war.

     

    "Das stimmt - nur gilt das Milieu nicht mehr als rechtsextrem, es ist inzwischen mitten im Bürgertum verankert. "

    Das ist ein massives Problem was wir schon länger in Deutschland haben. Die sogenannte Radikalisierung der Mitte.

    Die Kommmentarspalten zum Thema Islam, Norwegen-Attentat oder Homoehe auf den Seiten der gemässigten Presse ist einfach nur noch zum kopfschütteln.

    Und wie die gemässigte, eher konservative Presse jetzt mit dem Geisler-Zitat umgeht schlägt für mich in die gleich Kerbe. Sie bietet die Möglichkeit mal wieder einen Rundumschlag auf die ganze "Linke"-Presse, angebliche Rede-/ und Denkverbote und natürlich auf das Unwort des Jahrzehnts = Gutmenschen einzuhauen. Leider wird die Möglichkeit genutzt.

  • PM
    Peter Maas

    Das Thema dieses Artikels war das Versagen von Medien und Machthabern, die Ursachen katastrophaler Ereignisse zu ergründen und daraus zu lernen. Als Beispiele wurden der Massenmord in Norwegen und die Hungersnot in Somalia angeführt. Eine gründliche Aufarbeitung, wie sie dir vorschwebt, war, glaube ich, von Ilja Trojanow nicht beabsichtigt und passt auch nicht in eine taz-Kolumne.

  • SR
    Stanley Rost

    @Jochen Brauch:

     

    Quatsch, der Artikel ist gut. Er soll zum Nachdenken (und Nachschlagen) anregen. Dass er nicht jeden Aspekt und jedes Problem beleuchten kann, ist ja wohl vollkommen klar.

  • MZ
    M. Zinke

    na klar, PI ist mitschuld am hunger in somalia!

    eineindeutig durch diesen hervorragenden und informativen artikel nachgewisen!

     

    ein weiterer beweis: überall dort wo im wüstengürtel dieser erde diese eine bestimmte I-religion vorherrscht, ist die situation für die menschen ungleich schlimmer ist als in regionen wo andere oder keine religionen verbreitet sind. das ist folge der gigantischen diskriminierung durch PI, Broder, Sarrazin, Wilders &Co., oder?

  • L
    Luzie

    Wenn ich den Artikel recht verstehe, dann liegt die gesamte Schuld am Elend in Somalia und Äthiopien ausschließlich beim Westen. Auf diese Weise entmündigen die edlen Gutmenschen aus dem Westen die Somalier und Äthiopier total. Ich habe äthiopische Freunde und somalische während meines Studiums gehabt, ich habe Äthiopien bereist und viele Gespräche geführt. Eines weiß ich ganz bestimmt, dass es völlig falsch ist, die Menschen dort von der Verantwortung für ihr Leben zu entbinden. Die Verachtung und Erniedrigung der Frauen und Mädchen, deren Ausbeutung durch parasitäre Männerdominanzen kreiert eine Sozialkultur, die sich jeglicher Progressivität verschließt und ungemein gut zur westlicher Hegemonialität passt. Da treffen sich an den Schaltstellen der Macht Brüder im hegemonialen Geiste, seelisch zerfressen von abgrundtiefem Egoismus. Erst wenn diese Länder aufhören, Diskriminierung und Ausbeutung von Frauen und Mädchen als Normalität zu betreiben gibt es Chancen aud Fortschritt. Jeder wirtschaftliche Fortschritt beruht auf einem sozialen.

  • HL
    Helena Lüdert

    Ich war sozusagen erleichtert den Artikel zu lesen, da er wenigstens ansatzweise zeigt, welche Maßnahmen es braucht. In Afrika "lokale, nachhaltige, landwirtschaftliche Produktion " und Unterstützung "autarker Techniken", im Endeffekt zur Bekämpfung der Wüstenbildung.

    Und gleichzeitig zeigt er wie es unsere Gesellschaft ist die solche Katastrophen erzeugt und genau so auch Attentäter hervorbringt. Ein krankes System mit kranken Auswirkungen, die sich in unterschiedlichster Art und Weise verstreut auf der Welt zeigen.

    Was es jetzt eigentlich bräuchte wären tatsächlich sinnvolle Antworten, denn immer tiefer in die Katastrophe zu zoomen wird den Menschen am Horn von Afrika nicht den Hunger stillen und auch nicht weitere Attentate verhindern.

  • JB
    Jochen Braun

    Was für ein enttäuschender Artikel! Wie kann man soviel Text schreiben und ausser einer Aneinanderreihung von Problemanrissen nichts Konkretes schreiben?!

    Klar, dass alles irgendwie zusammengehört und auch mit ursächlich für die aktuelle Katastrophe ist. Trotzdem beachten solche Artikel nicht mal einzelne Aspekte komplett, während gerade Somalia eine so vielschichtige und komplexe Problematik ausweist, dass alleine über die Mitwirkenden, Ursachen und Auswirkungen der Überfischung ein eigener Artikel nötig wäre. Das in einem Satz anzureissen und dann mit so vielen anderen Ansätzen zu mischen, erzeugt ein gefährliches Halbwissen.