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Kolumne DarumGeile heile Welt

Maik Söhler
Kolumne
von Maik Söhler

Erwachsen ist, wer um 6.45 Uhr Pausenbrote schmiert. Also lieber keine Kinder? Nein. Besser fragen, was Darth Vader tun würde.

In der Tim-und-Struppi-Phase kann man sich schon mal Flüche für später merken. Bild: AP/Herge/Moulinsart 2004

K inder stellen sich das Erwachsensein als einen Zustand ewiger Glückseligkeit vor. Erwachsene dürfen Süßigkeiten essen, wann sie wollen. Sie können abends fernsehen. Sie geben Geld für jeden Quatsch aus. Sie verfügen über die Macht, andere ins Bett zu schicken.

Dabei sieht die Realität des Erwachsenseins anders aus. Erwachsen ist nur, wer morgens um 6 Uhr 45 unausgeschlafen in der Küche steht, Pausenbrote im Akkord schmiert und dabei weiß, dass das alles nachmittags möglicherweise ungegessen zurückkommt. Erwachsen zu sein nervt. Davon wiederum wollen Kinder nichts hören. Ein unlösbares Problem.

Unlösbar? Von wegen! Was würde Lassie tun? Was Donald Duck? Wie würden wohl Tim und Struppi für Abhilfe sorgen? Kann Darth Vader das verworrene Dickicht aus Erwartungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen mit seinem Laserschwert zerschlagen? Ja, ja, ja und ja.

Bild: taz
Maik Söhler

ist Chef vom Dienst von taz.de und hat zwei Kinder, die gelegentlich in der „taz“ zu Wort kommen. Maik Söhler auf Twitter.

Dank unserer Kinder können wir zeitweise auch wieder zu Kindern werden. Zu Hause hat gerade die Tim-und-Struppi-Phase begonnen. „Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!“, schimpft Tims Freund Kapitän Haddock da. Wir speichern diesen Fluch ab, um ihn statt der üblichen Phrasen auf einer der nächsten Redaktionskonferenzen zu verwenden.

Wir haben wieder Träume

Abends schauen wir gemeinsam, wie der uralte Bordercollie Lassie jede Schwierigkeit vierpfotig am Wegesrand hinter sich lässt. Geile heile Welt. Wir sehen uns das an, und wenn der Film vorbei ist, greifen wir zu Micky-Maus-Heften, beneiden Dagobert Duck um seinen Geldspeicher und bereisen mit Huckleberry Finn den Mississippi. Wir sind wieder jung, erleben wieder Abenteuer. Wir haben wieder Träume.

Von Kinderlosen hören wir oft, wie stressig unser Leben zwischen Job und Kindern doch sein müsse. Dass man nicht tauschen möchte, nein, um keinen Preis. „Hagel und Granaten!“, rufen wir dann, Kapitän Haddock zitierend. Denn tauschen wollen auch wir nicht. Dann könnten wir nicht mehr ohne Entschuldigungen zu stammeln („Ist nur Teil der Recherche für einen Artikel“) in einfache Welten eintauchen. In Welten, in denen einem schwierige Dialoge wie „Auuuh! … Auuuh!“ – „Jetzt oder nie ...“ – „Hilfe! Hilfe!“ (Tim und Struppi, in: „Die Zigarren des Pharaos“) oder Lassies hundertster Versuch, den Heimweg doch noch zu finden, intellektuell und emotional alles abverlangen.

Inmitten des Eltern- und Erwachsenendaseins sind solche Momente leider viel zu kurz. Bald schon dringt wieder der Ruf „Hunger!“ durch die Wohnung. Ein Abendessen will gerichtet, ein Schulranzen gepackt, ein Pflaster aufgeklebt sein. Was können Eltern und Kinder gemeinsam tun, um für eine verlängerte Kindheit aller Beteiligten zu sorgen? Sollten wir noch mehr über Fußball reden? Über Comics? Über Erfindungen, auf die selbst Daniel Düsentrieb neidisch wäre? Was sagt eigentlich Kapitän Haddock dazu?

Und siehe da: Alle Tim-und-Struppi-Hefte sind weg. Ein Kind hat sie in sein Zimmer geschleppt und verweigert uns die Teilhabe an der Glückseligkeit. Wo, verdammt, ist Lassie, wenn man sie mal braucht?

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Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
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9 Kommentare

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  • Z
    Zeit

    Wie konnten Sie das Kind in Ihnen vergessen? So etwas pflegt und schützt man doch, um diesen Teil von sich nicht zu verlieren.

     

    Ein ungebildetes Kind muss man ja als Erwachsener nicht bleiben. Man kann sich ja mal die Techniken hinter solchen Filmen anschauen, dann klappt es auch mit den Antworten. Gute Geschichten für gebildete Kinder gibt es vielerorts.

  • R
    ralph

    Danke für die Erinnerung. Ich hatte es schon fast erfolgreich verdrängt.

  • T
    Tim

    Tim & Struppi, Lassie, Donald Duck ... nehmen die Kinder Sie mit in ihre Welt oder vielleicht doch eher Sie die Kinder mit in die Welt der 60er/70er?

  • V
    vic

    Hi alf,

    Pizza und Katzen, richtig?

  • A
    anke

    Sie sollten hoffen, Herr Söhler, dass Ihre Kinder die Kinderzimmertür geschlossen halten. Ganz fest und wenigstens so lange, bis sie ganz aus Versehen selber Kinder kriegen. Wenn sie nämlich schon vorher mitbekommen, dass Erwachsensein nervt, werden sie später bestimmt mal zu Kinderlosen. Zu solchen, meine ich, die sich gewaltsam was auf ihre "freie Entscheidung" einbilden müssen, damit sie nicht erkennen brauchen, wie viel Angst sie vor der eigenen Courage haben.

     

    Am Ende halten ihre Kids dann womöglich an der "Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder" Vorlesungen im Fach Zaubertränke, steuern afrikanische Rebellenarmeen fern oder traumatisieren SPD-Kandidatinnen, und alles bloß, weil sie sich vom Pausenbrotschmieren überfordert fühlen. Das können sie doch unmöglich wollen für ihre lieben Kleinen, dass es nachher heißt, sie wären verantwortlich für den Tod Anderer – und keineswegs nur irgendwelcher Kindsköpfe...!

     

    Überhaupt, Herr Söhler: Ihre Chance, als Opa mit den Enkeln zusammen wieder Kind zu sein für einen dieser endlos langen Samstagnachmittage im August stehen und fallen mit dem Wunsch ihrer Kinder, erwachsen zu werden. Sie können also nur hoffen, dass die "geile heile Welt" der klugen Lassies recht lange Bestand hat neben der medial vermittelten "realen", in der sich laserschwertschwingende Darth Vaders mit Gewalt nehmen müssen, was ihnen nicht von selber in den Schoß fällt. Notfalls, indem sie die eigenen Kinder über die Klinge gehen lassen.

  • MD
    Michael Dietz

    Die Figuren aus dem Artikel kenne ich zwar, aber bei uns haben sie nie so eine Rolle gespielt. Meine Kinder sind jetzt über dreißig. In ihrer Kindheit war aktuell, als die "Benjamin Blümchen"-Zeit vorbei war, "TKKG", im Radio gab's den "Letzten Detektiv" von Michael Koser, und ich musste bei einem Rollenspiel mitmachen: "Das schwarze Auge". Das war superanstrengend, wenn ich abends rechtschaffen müde nach Hause kam: "Welcher Charakter willst Du sein?" Dazu gab es selbstgezeichnte Pläne und mehrere Würfel mit was weiß ich wievielen Flächen. Und nachts hat sich der Computer über das Modem ins Fido-Net eingewählt und die neuesten Nachrichten ausgetauscht. Wie mein kleiner Sohn in seinem zarten Alter das damals auf der DOS-Ebene eingerichtet hatte, weiß ich nicht, aber es lief zuverlässig. Ja, das waren noch Zeiten, von denen ich gerne träume, lange vor WKW und Facebook.

  • A
    alf

    lassie war kein bordercollie

  • D
    dennis

    danke, dass jemand es auch mal schön findet mit kindern zusammen zu sein. stress ist für mich die "gegenseite". party hier, kater da, beziehungsstress dort. nicht mit mir - auf der insel der glückseligen. "guck doch mal wie süß er die spaghetti mit tomatensauce in der frisch gewischten küche verteilt..."

  • V
    Vorkoster

    Als verantwortungsvoller Vater muß ich mich natürlich stets vergewissern, daß die Lektüre meines Sohnes auch wirklich altersgerecht ist und im Rahmen meines zu verantwortenden pädagogischen Horizontes liegt.

    Auch dann, wenn ich die Sachen vor vielen Jahren schon selbst gelesen habe. Es wäre ja möglich, daß ich heute etwas anders beurteilen könnte.

    Ich nehme meine Pflicht in diesem Punkt sehr ernst und lese daher seit etwa drei Jahren praktisch nur noch Tove Jansson, Astrid Lindgren, Rudyard Kippling, Michael Ende, Hugh Lofting, Max Kruse, etc.

    Und in jüngster Zeit sind nun auch noch Herge, Franquin und Carl Barks dazugekommen.

    Es ist dies eine schwere Bürde, aber ich trage sie ohne zu klagen.

    Ärger gibt es eigentlich nur, wenn der Bub eines der Werke auf meinem Nachttisch findet, ehe die gewissenhafte, väterliche Inspektion abgeschlossen ist...

    Da müssen wir beide durch.