Kolumne Cannes Cannes: Wir haben die Sixties ausgelöscht
Fast zum Schluss gibt es die nicht ganz so guten Beiträge. Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn musste sich sogar kräftige Buhrufe anhören.
K urz vor dem Ende der Filmfestspiele von Cannes ist ein guter Moment, auf die weniger gelungenen Beiträge zur Lichtspielkunst einzugehen, die dieses Jahr um die Goldene Palme konkurrieren. Vielleicht ist es kein Zufall, dass einige davon erst in der Zielgeraden gezeigt wurden, wenn die allgemeine Erschöpfung ohnehin zu weniger gnädiger Aufnahme führt.
Nach der Vorführung des Wettbewerbsfilms „The Neon Demon“, einer Kannibalismusgeschichte aus der Modelwelt von Los Angeles, bekam der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn kräftige Buhrufe. Seine vor geglätteten Oberflächen und zu lebenden Schaufensterpuppen reduzierten Catwalk-Dienstleisterinnen nur so strotzende Satire auf die brutale Konkurrenz im Schönheitsgeschäft scheiterte, da waren sich viele Journalisten schnell einig, grandios an ihrer eigenen perfekt ausgeleuchteten Leere.
Doch da hatte es noch keine Gelegenheit gegeben, sich ein Bild von Sean Penns Preisanwärter „The Last Face“ zu machen. Penn schildert die Beziehung zweier Ärzte (Charlize Theron und Javier Bardem), die im Auftrag von Hilfsorganisationen in afrikanischen Krisengebieten arbeiten – und wie ihre Liebe fast an den unerträglichen Bedingungen zerbricht, unter denen sie zu helfen versuchen.
Gehobener Arztroman
Leider hat Penn für diese in vielen Rückblenden erzählte Aufforderung zu humanitärem Engagement eine Mischung aus obszöner Drastik bei der Darstellung von Bürgerkriegsopfern einerseits und gehobenem Arztroman in der weichgezeichneten Illustration der trotz aller Hindernisse innigen Zweisamkeit des Paars andererseits gewählt. Es tut weh, Charlize Theron zusehen zu müssen, wie sie sich zum öligen Soundtrack von Hans Zimmer bemüht, ihre Rolle aus der Pathosfalle herauszuwinden.
Besser ist es, seine Zeit in den Dokumentarfilm „Risk“ der in Berlin lebenden, US-amerikanischen Regisseurin Laura Poitras in der Reihe „Quinzaine des Réalisateurs“ zu investieren. Ähnlich wie in ihrem Edward-Snowden-Porträt „Citizenfour“ geht es um Whistleblowing, wobei sich Poitras diesmal auf den Wikileaks-Aktivisten Julian Assange konzentriert.
Poitras zeigt vor allem, mit welchen Konsequenzen Whistleblower rechnen müssen, welche Vorsichtsmaßnahmen nötig sind, um sich nicht strafbar zu machen, und unter welchen Umständen sie im Falle der Verfolgung leben. Assange ist bei der Vorbereitung auf seine Anhörung vor einem Londoner Gericht zu sehen, nachdem in Schweden ein Haftbefehl wegen Vergewaltigung gegen ihn erlassen wurde, und wie er sich nach Ausschöpfen der Rechtsmittel verkleidet, um unerkannt in die Botschaft von Ecuador zu gelangen, wo ihm seither Asyl gewährt wird.
Assange in der Botschaft
Ein starker Moment ist eine Szene, in der die Kamera mit Assange durch die Fenster der Botschaft auf britische Polizisten blickt, die das Gebäude umstellt haben. Da es anders als in „Citizenfour“ weniger um die von Wikileaks veröffentlichten Inhalte selbst geht, verliert der etwas distanzarme Film aber ein wenig von seiner Schärfe.
Noch besser aufgehoben war man beim zweiten, außer Konkurrenz laufenden Jim Jarmusch-Film, „Gimme Danger“, über die einflussreiche Band The Stooges. „Gimme Danger“ hat einen einnehmenden Protagonisten, Jim Osterberg alias Iggy Pop. Zugleich ist der Film ein Abschiedsgruß an den Großteil der übrigen Bandmitglieder: Die Brüder Ron und Scott Asheton, Bassist Dave Alexander und auch Saxofonist Steve Mackay sind inzwischen gestorben, Letzterer erst im vergangenen Jahr.
Jarmusch mischt neueres Interviewmaterial mit Archivbildern, und die historischen Aufnahmen überlagern sich oft fließend zu einer schnellen Collage, die mit dem harten Groove der Songs der Stooges locker Schritt halten kann. „We helped wipe out the sixties“, sagt Iggy Pop an einer Stelle. Ihn wird, so steht zu hoffen, nichts so schnell erledigen.
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