Kolumne Blind mit Kind: Bällebad und vollstes Vertrauen
Laute Spielplätze können für blinde Eltern eine Herausforderung sein. Doch Vertrauen hilft – und Vorsicht vor tiefhängenden Balken.
Mama!“ – War das meine Tochter? Tausend Kinderstimmchen erfüllen die alte Fabrikhalle. Rennen, Rasseln, Rumpeln. Wer eine akustische Herausforderung sucht, ist in einem Indoor-Spielplatz goldrichtig. Mir bleibt zur Orientierung der Stock – meinem tierischen Hilfsmittel mag ich diese Soundkulisse nicht zumuten.
Ich bin eine passable Stockgängerin und prinzipiell unerschrocken, aber hier ist die Vorsicht mein ständiger Begleiter: Wie viele ungestüme Kleinkinder werde ich beim Erkunden der Spielgeräte zur Seite fegen, wer wird mir als Nächstes in den Weg rutschen, und was macht meine Tochter inzwischen?
Wir haben gemeinsam jede Menge Spielplätze erkundet. Lange forderte sie meinen ständigen Geleitschutz ein – über jede Wackelbrücke, Klettergerüste hoch und runter und ab durch die Röhren rutschen. Gerade auf noch unbekanntem Terrain war das eine spannende Tasterfahrung für mich. (Auf den einen oder anderen niedrigen Balken hätte ich dabei verzichten können).
Als meine Tochter größer wurde und meine Hand losließ, waren wir schon ein gutes Team. Ich weiß, dass sie Bescheid gibt, wenn sie mich braucht, und sie weiß, dass ich auf Abruf bereitstehe, um sie doch mal hochzuheben oder festzuhalten. Allerdings setzt eben jeder erfolgreiche Abruf voraus, dass man ihn auch hören kann.
Das Kind wird schon wiederkommen
Ich stoße mit dem Stock gegen ein Spielgerät, ertaste mit der Hand Leitersprossen, einen bespannten Metallrahmen und ein Sprungtuch. Aha, ein Trampolin, auf dem meine Tochter gut fühlbar herumhopst: „Mama, komm endlich!“ Wir hüpfen eine Weile gemeinsam. Danach zieht sie mich hinter sich her zu einem monströsen Kletterstangengebilde. Beim Versuch, mich durch den Eingang zu quetschen, trifft mich ein Plastikbällchen. Bällebad voraus?
Ich schreie meiner Tochter zu, dass ich leider nicht mitkommen könne, und sie informiert mich von irgendwo über mir, dass sie jetzt rutschen gehe. Schnell noch dem Kind hinter mir erklären, warum ich diesen langen Stock mit mir führe – und dann raus hier! Mein Kind wird schon wiederkommen.
Ohne Vertrauen geht es nicht. Vertrauen in die Fähigkeiten meiner Tochter, Herausforderungen selbst zu meistern, Vertrauen darauf, dass sie Rückmeldung über ihren Aufenthaltsort gibt, und Vertrauen darauf, dass sie bei Bedarf zu mir zurückkommt oder mich ruft. Ja, da ist ein Rest dieser Angst, dass etwas passieren könnte, aber von der müssen sich letztlich auch sehende Eltern freimachen, um ihre Kinder nicht einzuengen. Blinde machen sich als Helikoptereltern jedenfalls final lächerlich.
Bleibt das Problem mit der Akustik. Hier zwischen Bällebad und Hüpfburg gebe ich meine Restverantwortung vorübergehend gerne an meinen Schwager ab und trinke in der ruhigsten Ecke einen Kaffee auf all das, was mir die Spielplätze dieser Welt beschert haben: einen besseren Orientierungssinn, Abenteuerlust, Mut zur Lücke und mehr (Selbst-)Vertrauen.
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