Kolumne Blicke: Die Karrieristen
Man kann eine Menge verkehrt machen. Aber man muss nicht alles mitmachen.
A ls ich vor zwei Wochen an dieser Stelle „Abschied von Mutti“ nahm und dann aber der Blätterwald (oder das, was davon übrig ist, im trüben Herbst der Holzzeitung) sich in einen rauschhaften „Abschied vom weißen Mann“ hineinschrieb – da musste ich an den alten Theaterwitz denken:
Regisseur (heuchlerisch-sanft zum Schauspieler): „Weißt du, was dein Problem ist?“
Schauspieler (setzt verunsichert an): –
ist Meinungs- und tazzwei-Redakteur der taz.
Regisseur (fies): „Timing!“
Ich – klar – identifiziere mich hier mit dem armen Mimen. Ich bin das Kind, das frohgemut oder bedrückt, aber jedenfalls ganz in seiner eigenen Welt schwebend in die Schule spaziert und erst in der Turnhalle bemerkt, dass es den Sportbeutel in die Mülltonne geworfen und den Müll mit in die Schule genommen hat. Damit galt es sich dann zu arrangieren – und das gelang auch: kopfschüttelnd, lachend, seine Blödheit teilend.
Zum Klassensprecher wurde man trotzdem wieder gewählt, das war schön und tröstlich. „Oben sind die Doofen“, sagte mir Jahre später auf dem Athener Omonia-Platz ein griechischer Kneipenphilosoph im Morgengrauen. Und er wusste nicht, dass ich das nicht nur gesellschaftskritisch verstand, sondern auch ganz persönlich nahm.
Eine gewisse Weltfremdheit jedenfalls war in den frühen 1970ern in der BRD noch zu haben, bevor die Pädagogen auch Eingang ins kleinbürgerliche Milieu fanden, um mit immer neuen Erziehungskonzepten ihre eigene Existenz zu rechtfertigen und im Sommer sechs Wochen auf Kreta (Südküste, klar) verbringen zu können.
Da man in Bayern panaschieren und kumulieren kann, taten meine Brüder und ich später unseren Teil dazu, die Welt ein wenig besser zu machen, indem wir Erziehungswissenschaftlern und anderen Wichtigtuern den Einzug in den Landtag erschwerten.
Wenn ich solche Anekdoten erzähle, dann deswegen, weil ich auf diese Weise verdeutlichen will, warum mich der Abschied vom „weißen Mann“ kaltlässt. Ich hatte damit nie etwas am Hut: Karriere ist die Hoffnung der Unbegabten; ist die Lebensperspektive derer, die willig sind, sich Jahre lang protegieren, belästigen und kujonieren zu lassen, um dann endlich selbst Befehle geben zu können.
Wenn nun die weiße Frau in Deutschland dank oder ohne Quote den weißen Mann peu à peu von den Spitzen der Gesellschaft verdrängt, dann soll mir das recht sein; denn links ist gewiss immer gerade das, was gerade möglich ist an gesellschaftlichem Fortschritt. Aber deswegen hat Buñuels „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ ja nichts an Wahrheitsgehalt verloren.
Mit dem Timing ist es immer noch schwer. Gerade als ich diese Kolumne in dem Café schreiben will, in dem ich sie immer schreibe, betritt eine Familie mit Kleinkind den Laden. Da kann ich natürlich nicht rauchen. Aber dann merke ich, dass ich sowieso zu früh dran bin – Rauchen ist erst ab sechs erlaubt (sich einen ansaufen darf man merkwürdigerweise den ganzen Tag). Als ich schließlich nach draußen gehe, rauche und wieder ins Warme gehe, ist es 18 Uhr geworden: Die Mutter des Kleinkinds steckt sich sofort eine Zigarette an.
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