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Kolumne BlagenScheiß Mutter! Scheiß Kind!

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Ich möchte die Tochter trotz fettiger Haare herzen. Sie räumt mir für diesen Akt der Mutterliebe genau elf Minuten ein.

D ie Einssechzigblondine ist krank. Die Mandeln. Seit Monaten jagt eine eitrige Entzündung die nächste, es ist das Grauen. Sie liegt darnieder, kann kaum sprechen, die Antibiotika machen nicht, was sie sollen. Sie isst nichts, trinkt nichts, dämmert immer wieder weg.

Wenn sie doch mal was sagt, röchelt sie, dass zwar, einerseits, alles Scheiße sei, sie aber, andererseits, durch ihren zugeschnürten Hals keine feste Nahrung aufnehmen könne und auf diese Weise die entscheidenden Kilo für den Strandgang verlöre. Super, sage ich, es fehlt nicht viel und du siehst aus wie diese RTL-Trashmoderatorin, deren Ellenbogengelenke sichtlich kräftiger sind als ihre Oberarme. Aber die Einssechzigblondine freut sich trotzdem auf ihren demnächst anstehenden Hungertod.

Nach nur anderthalb Wochen beschließt ihr Körper, doch nicht resistent zu sein und die Antibiotika ihren Dienst tun zu lassen. Die fünfte Mandelentzündung in nur sieben Monaten ist damit überstanden. Aber: die Dinger müssen raus, sagt der Arzt.

Bild: privat

Anja Maier ist Ressortleiterin der sonntaz.

Nur zwei Monate später bekommt die kleine Kassenpatientin einen Operationstermin im Kreiskrankenhaus. Morgens rücken wir beide ein - sie, um sich in ein ungewohnt frisch bezogenes Bett zu legen, ich, um Dokumente zu unterschreiben, die der Teufel aufgesetzt haben muss. So eine Tonsillektomie, erklärt der nette Assistenzarzt, sei nämlich schnell erledigt, aber kein Spaziergang. Stimme weg, Geschmacksnerven irritiert, Zähne abgebrochen - das gäbe es alles, und hier bitte mal meine Handynummer für den Ernstfall eintragen. Ich zögere. Soll ich mein Kind nicht doch einfach wieder mitnehmen? Aber nein, bei der nächsten Entzündung verhungert sie. Also hiergeblieben! Ein ungutes Gefühl bleibt.

Am nächsten Abend besuche ich sie. Frisch operiert liegt sie in ihren Kissen, gerade erbricht sich ihre Zimmernachbarin spektakulär. Dagegen mein Kind: gute Verfassung, bisschen geschwollene Lippe, na ja, aber sogar sprechen kann sie schon. Und was sagt die Einssechzigblondine? Wieder mal sei alles Scheiße.

Ich streiche ihr über die Stirn, wer würde das nicht verstehen bei diesen Halsschmerzen. Nein nein, krächzt sie, das sei auszuhalten, der behandelnde Anästhesist verstünde sein Handwerk. Aber Scheiße, und zwar große Scheiße sei, dass man ihr vorhin gesagt habe, dass sie sich postoperativ eine Woche lang nicht die Haare waschen dürfe. Sieben Tage! Das sei doch uncoole Megascheiße. Oder?

Ich muss ein bisschen grinsen. Gerade raus aus der Narkose und schon wieder an schöne Haare denken - das nenne ich eine sorgenfreie Jugend. Aber die Patientin kennt mich schon ein paar Jahre, sie weiß genau, was ich denke und fängt an, sauer zu werden. In der Gedankenblase über ihrem Kopf lese ich deutlich: … auch noch 'ne Scheißmutter. Ja, sage ich, genau diese Scheißmutter findet, dass du eigentlich immer gut aussiehst, auch mit fettigen Haaren.

Wie lange bleibst du noch? fragt darauf die genervte Patientin. Soll ich schon gehen, sage ich. Naja, antwortet sie und schaut auf die Uhr an der Wand, elf Minuten kannst du noch bleiben, dann fängt Gute Zeiten, schlechte Zeiten an. Mir ist das Grinsen vergangen. So viel Zeit habe ich nicht mehr, sage ich, schließe meine Jacke und stürme aus dem Krankenzimmer. Im Auto nach Hause denke ich: Scheiß Kind! Aber offenbar ist sie wieder gesund.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

5 Kommentare

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  • KL
    Kai Lilie

    Guten Tag, Frau Maier,

    mir gefallen Ihre Kolumnen über das dörfliche Leben bzw. die puertierende Tochter.

    Ein Beitrag im Info-Radio hat mich sooo an IHRE PubertistIn erinnert...:

    Stoßseufzer, Mo 06.09.10 10:05 Uhr

    Konsum

    Wir erwachsenen Dörfler sind ja hinsichtlich unserer Bekleidung eher bescheidene Menschen. Unser unterentwickeltes Konsumverhalten treibt die Marktforscher schon allein deshalb zur Verzweiflung, weil der gemeine Landbewohner dazu neigt, nur das zu kaufen, was er tatsächlich braucht. Meine größte Investition in den letzten zwei Monaten war der Erwerb froschgrüner Gummistiefel im örtlichen Drogeriemarkt.

     

    Bei der heranwachsenden Hoferbin sieht das naturgemäß anders aus. Um nicht als Dorftrulla ins soziale Aus zu geraten, drängt sie auf eine regelmäßige Erneuerung ihrer Außenfassade. Leider weiß die 15-Jährige preisgünstige Saisonware unserer Kleinstadt-Discounter nicht zu schätzen und das nächste angemessene Shoppingcenter ist mehr als einen Tagesritt entfernt. Deshalb fordert die nicht motorisierte Pubertistin einen ungehinderten Zugang zur virtuellen Shopping-Welt.

     

    "Ich brauch deine Kreditkarte"“ ist der zweithäufigste Satz nach der in einer Art Dauerschleife abgespielten Redewendung "keine Aaahnung". Naja, zumindest kennt sie sich in den von ihrer Peergroup zugelassenen Stilrichtungen prima aus. Selbst der Umgang mit dem Plastikgeld funktioniert mühe- und bedenkenlos.

    Irgendwie scheint dieser Generation der freie Datenverkehr ebenso ein Grundbedürfnis zu sein, wie einst den 68ern die unbegrenzte Liebe. Meine Hinweise zu einem acht- und vor allem sparsamen Einsatz mit meiner Kreditkarte quittiert die Hoferbin umgehend mit der Verbitterung einer Verbannten: "Wenn ihr mich schon zu einem Leben abseits der Zivilisation zwingt, dann müsst ihr mir wenigstens online die Tür zur Welt offen halten."

     

    Sicher - den Nervenkitzel ihrer Freudinnen beim Klamottenklau in schwedischen Jugendmodehäusern können wir in der Provinz nicht bieten. Warum sie aber das angesagte Männerhütchen aus Stroh unbedingt online ordern musste, ist mir unklar. Das hätte ich auch neben dem Sack Weizen für die Hühner aus dem Baumarkt mitbringen können. Immerhin kostet dort das trendige Teil nur die Hälfte.

     

    Ein Beitrag von Anja Baum.

  • W
    Waage

    Ich fand die Kolumne auch witzig - wenn ich das ungefragt einfach mal so sagen darf.

  • M
    Menschheit

    Sehr geehrter Herr Gardy,

     

    niemand interessiert sich ernsthaft für Ihre Neigung ungefragt Kolumnen zu kommentieren.

    Entgegen Ihrer Einschätzung ist Ihr elitäres Gehabe weder anspruchsvoll noch vermag es seinen niederen Gehalt schön zu färben.

    Ihr Kommentar hat für die Kolumne, respektive für uns, die Menschheit, keinerlei Wert. Deshalb bitte ich Sie darum, uns mit einer Fortsezung nicht weiter zu behelligen.

     

    Mit halbwegs freundlichen Grüßen

    Die Menschheit

     

    Ach, Frau Maier, ich habe Kenntnis von Mitgliedern meiner nennen wir es Gemeinschaft, die Ihre Kolumne sehr schätzen.

  • J
    Jemand

    Hey,

    ich find die Kolumne super!!

    Freu mich immer darauf...

    Immer mehr davon, bitte!

     

    @jonathan G.

    du MUSST sie ja nicht lesen!!

  • JG
    Jonathan Gardy

    Sehr geehrte Frau Maier,

     

    niemand interessiert sich für Ihr Verhältnis zu Ihrer pubertierenden Tochter.

    Entgegen Ihrer Einschätzung ist eine vulgäre Schilderung weder literarisch originell noch vermag sie eine langweilige Begebenheit interessant zu machen.

    Ihre Kolumne hat für uns Leser keinerlei Wert. Deshalb bitte ich Sie darum, uns von einer Fortsetzung zu verschonen.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Jonathan Gardy