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Kolumne BlagenBesinnungsloses Mütter-Gelaber

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Wie unglaublich Fortpflanzungsdiarrhöe in der S-Bahn nervt.

I ch hätte nie gedacht, dass mich das mal dermaßen nerven würde. In einem früheren Leben, ja, da hab ich selbst diesen Quatsch verzapft und meine Umwelt ungebeten mit Schnurren aller Art über mein Privatleben unterhalten. Und auch ich habe dafür gern als Forum die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt. Quasi steuerlich subventionierte Öffentlichkeit.

Morgens in der S-Bahn eine mir bekannte Kita-Mutter zu treffen war für mich der Startschuss für besinnungsloses Gelaber über dieses und jenes aus dem Zusammenleben unseres vierköpfigen heteronormativen Schubverbandes. "Fortpflanzungs-Diarrhöe" hat das mal eine Kollegin maliziös lächelnd genannt, und ich habe danach sehr lange überlegt, ob ich mit dieser Person jemals wieder ein Wort wechseln sollte.

Heute sitze ich in der morgendlichen S-Bahn, und das Schicksal bestraft mich mit zwei Kita-Muddis, die den halben Waggon mit Beschreibungen ihrer gerade frisch auf Nachwuchs getrimmten Wohnungen unterhalten. Der Glastisch mit den scharfen Kanten wurde - Finn-Lukas zuliebe - gegen ein Ikea-Plastiktischchen ausgetauscht. Die Bildbände wurden aus den unteren Regalen geräumt, diese stattdessen für die dreijährige Marla mit Bilderbüchern bestückt. Und Grünpflanzen? Sorry, nicht solange die Kinder klein sind.

Bild: privat
ANJA MAIER

ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.

Schon recht, schon wichtig und richtig, und ganz gewiss ein Thema, das laut in der sonst so stillen Morgenbahn erörtert werden sollte. Es zwingt mich ja niemand, zuzuhören; und dass ich mal wieder meine Ohrböppel nicht griffbereit habe, ist nur gerecht, wenn man bedenkt, womit ich einst meine wehrlose Umwelt behelligt habe.

Üble Darmerkrankungen und Hautekzeme der Kinder habe ich öffentlich erörtert, stümperhafte Erzieherinnen, Lehrer und Kinderärzte geschmäht, privateste Privatissima gerade mal halblaut erörtert. Kommunikativ erfrischt stieg ich anschließend am Zielbahnhof aus, um in der Redaktion weitere wehrlose KollegInnen zu behelligen. Wie haben die das eigentlich ausgehalten, frage ich mich heute, während gerade neben mir die Vorteile von Kindersicherungen diskutiert werden.

Vielleicht hätte ich für meine kinderlose Umwelt jenes Ding griffbereit haben sollen, das sich die Einssechzigblondine zu Weihnachten wünscht. Dabei handelt es sich um eine Art dicken, blickdichten gesteppten Sack, den man sich über den Kopf zieht. Auf Ohrhöhe hat er zwei Eingriffschlitze, durch die man seine Hände stecken kann, um sich entweder die Ohren zuzuhalten oder - für Fremde unsichtbar - am Daumen zu lutschen oder in der Nase zu bohren. Maximale Abgeschiedenheit, äußerste Hässlichkeit und Unhöflichkeit in gesteppter Baumwolle.

Wenn man die Schnauze voll hat und - wenn schon nicht mimisch, so doch körpersprachlich - Genervtheit zum Ausdruck bringen möchte, kippt man mitsamt dem Kopfkondom nach vorn auf die Schreibtischplatte. Herrlich!

Fragt sich bloß, warum meine Tochter so etwas geschenkt bekommen will. Ist das das Ende aller Kommunikation? Der Anfang unseres endgültig nonverbalen Zusammenlebens? Ist sie nicht mehr interessiert an meinen interessanten Ausführungen zu den Themen Schule, Abwasch, Wäscheaufhängen? Dafür würde mir jedes Verständnis fehlen. Echt jetzt mal.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

12 Kommentare

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  • S
    suswe

    Aber, aber, wer wird denn gleich das Gehör für die anderen Unterhaltungsgruppen im Öffentlichen Raum verlieren: Filmyuppies, Bürointrigantinnen, Vulgärnazis, Junkies, Getränkeschlampen(Zitat), Verschwörologen, Escht wischtige Sittenwäschter usw. Oder aber ärgern im eigenen Blechkäfig.

  • H
    hessebub

    Solche "ironisch-amüsanten" Mütterkolumnen hat man vor zehn Jahren in journalistisch bedeutungslosen Stadtmagazinchen veröffentlicht, und schon damals waren sie unlustig.

  • AM
    auch Mutter

    Du lieber Himmel, was für ein Aufruhr immer.

     

    Aber liebe Frau Maier, auch mich nervt es, wenn ich am Leben anderer mehr teilnehmen muss, als ich eigentlich möchte. Erst geschehen im Supermarkt als sich ein junges Pärchen mit Blag im Wagen eine geschlagene halbe Stunde über alle Regale und anderen Anwesenden hinweg so laut über den eigenen Einkauf unterhielt, dass es keine Freude war: "Schatzi!, haben wir noch Kartoffeln?" ...

     

    Ach: Meine beiden Töchter sind seit kurzem beide aus dem Haus und was soll ich sagen, sie rufen öfter an als mir manchmal lieb ist: "alles blöd, Scheiß FSJ, habe Halsweh, die anderen in der WG machen mich wahnsinnig, kannst Du Geld schicken, bin so müde, die scheiß Bahn hat schon wieder Verspätung, kannst Du mich abholen, wie kocht man nochmal Rotkohl? ..."

    Manchmal sehne ich mich nach der kommunikationsarmen Pubertät zurück.

  • M
    Michael

    Wie immer hervorragend - da sieht der Tag doch gleich viel freundlicher aus.

     

    Es gibt viele Seuchen auf dieser Welt - Mütter kleinerer Kinder gehören dazu.

  • C
    Christoph

    Ein Link zum Onlineshop mit dem Sack, wäre nett gewesen... sowas brauche ich unbedingt ;-) EIn klein wenig Product Placement wird doch wohl selbst in der TAZ erlaubt sein!

  • BS
    bieder seid's

    @chris

    "Mutter eines gesunden, glücklicherweise vor der Gesellschaft noch nicht geschützten Sohnes"

     

    Zynisch, ihre Antwort auf chrisfre. Bringt frau wohl nur fertig als notorisch unzufriedene Nörglerin im Gewand-von-der-Stange einer selbstironischen Alltagscomedian. Sie machen sich lustig auf Kosten einer Mutter eines schwerbehinderten Sohnes, der inzwischen verstorben ist. Sind Sie eigentlich noch ganz schussecht???

     

    Ja, da haben sich mindestens zwei gefunden - Frau Maier quillt die eigene Verbitterung über was auch immer aus jedem Knopfloch. Besonders Mütter haben es ihr ja angetan, nach den Prenzlberg-"Rindern", nun die überengagierten U-Bahn-Muttis...sonst noch Sorgen?

  • C
    chris (ohne "fre")

    Mutter eines gesunden, glücklicherweise vor der Gesellschaft noch nicht geschützten Sohnes, auch "prekär-akademisch" berufstätig.

     

    Liebe Frau Maier, vielen Dank, ich freu mich immer auf ihre Kolumnen. Auch diesmal bin ich nicht enttäuscht worden, ich hab mich wieder amüsiert, geschmunzelt und gelacht. Vielen Dank und weiter so!

     

    (Aber auch die Leserkomentare an dieser Stelle sind wie immer mal wieder urkomisch. Ach, wenn sich Humor und die Fähigkeit über sich und seine Umwelt auch einmal herzlich zu lachen in Tüten verkaufen ließe, einige der Komentatoren an dieser Stelle bräuchten jeweils eine ganze LKW-Ladung davon frei Haus... mindestens einmal täglich!)

  • S
    Selbstgerecht

    Der Artikel zeigt die Beengtheit einer noch viel kleineren Seele als die der bedauerten Mütter. Es ist merkwürdig, wie sich eine " Geläuterte" moralisch über die sich noch auf dem Weg Befindenden erhebt, obgleich sie dem ähnlichen Verhalten anhing.

     

    Frau Maier, erwachsen wirken Sie nicht auf mich. Ich hoffe, sie lassen ihr Kind ohne solche Eingebungen pupertieren und lesen ihren Artikel danach nochmal.

  • AH
    alter Hexe

    arme Schneewitchenmutter,

     

    so ergeht es uns allen. Wir werden alt und unleidlich.

  • C
    chrisfre

    Sich selbst und seine Tochter derart durch neuerliches wenn auch selbstdestruktives "Gelaber" bös-artig, zeitgeistadäquat abwerten zu müssen, wohl auch dem Erwartungshorizont am kinderberei-nigten Arbeitsplatz genügend, ist jeder Frau selbst überlassen. Dies jedoch öffentlich und andere Mütter diffamierend zu tun, ist ein Boomerang.

     

    Als über 20 Jahre allein erziehende und prekär-akademisch berufstätige Mutter eines sog. schwerstbehinderten Sohnes (der nun an einem vor dieser Gesellschaft geschützten Ort ist, da er gestorben ist) hatte ich - systembedingt - viele 'Kampfgebiete', auf denen zu wachsen ich das Glück und die Entschlossenheit hatte. Oft hat mich befremdet, was Mütter (und Väter) sog. normaler Kinder in Klagen über ihr Elternlos in Anwesenheit ihrer Kinder absonderten. Mit vielen - auf Spielplätzen, auch in der U-Bahn mit meinem schon großen Sohn auf dem Schoß - habe ich gesprochen. Aus manchen dieser Gespräche haben sich bis heute wenige bestehende Freundschaften entwickelt.

     

    Deshalb mein Wunsch für Anja Maier: Brillenwechsel

    zur konstruktiven Sicht auf ihr schweres Mutterlos,

    auch iher Tochter zuliebe statt Abspaltung ihrer

    früheren Erfahrungen. Auch Mut, ohne Gesinnungsburka

    U-Bahn zu fahren.

  • P
    Peterchen

    Oh nein, menschliches!

    Das muß sofort verboten werden, kann doch nicht sein dass sich Wahlvieh, Arbeitsvieh und Konsumentenvieh öffentlich über was unterhält dass es daran erinnern könnte auch Mensch zu sein. Ägypten hat gezeigt wie schnell sowas dumm ausgehen kann.

     

    Hm, verbieten ist vielleicht auf Anhieb nicht durchzubringen. Dann schicken wir erstmal Leute wie Anja Maier ins Feld die das ganze propagandistisch vorbereiten.

  • NQ
    Noel Q. von Schneiffel

    Es ist wichtig, öffentlich die Werke von J.R.R. Tolkien zu analysieren. Ich tue dies seit Jahren in lauten Monologen, in der Bahn und sowieso überall. Nur so nervt man niemanden, ganz im Gegenteil. Man erzieht und bildet die Umstehenden. Oft wird mir dafür noch in der Bahn gedankt oder man drückt mir ein paar Münzen in die Hand.

     

    Wenn man natürlich die Werke von Tolkien nicht lesen will oder nicht verstanden hat, dann bleibt nur die Zuflucht zu, wie Frau Maier es sehr schön ausdrückt, "besinnungslosem Gelaber". Selbst schuld!