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Kolumne BioDie neue Pille für die Ausgebrannten

Kolumne
von Julia Seeliger

Manche denken beim „Guten Leben“ nur noch ihren eigenen Bauch – das gute Essen, Yogakurs, Innerlichkeit. Der Begriff ist zum Fetisch geworden. Und das Erbe von Petra Kelly wird beschmutzt.

G estern habe ich das letzte Möbelstück aufgestellt. Die Anleitung – unverständlich kleinteilig – verursachte permanenten Stress. Stundenlang kämpfte ich mit dem Schuhschrank, doch nun ist er an drei Ecken fixiert. Endlich: Die Module meines Lebens sind fertig. Farbschema A, Stimmung B, Bild C, Musik D – alles perfekt angerichtet.

Das gute Leben! Wie ein Fisch im Wasser kann ich mich in meinem neuen Zimmer fühlen und mich freuen. Nur der Weg in den Ostflügel, in dem sich die Küche befindet, der ist nun weiter geworden.

Aber das gute Leben ist ja nicht nur „das gute Essen“. Wäre ja schön einfach: Wir essen alle gutes Essen und retten damit die Welt! Esst, was euch schmeckt, seid glücklich und erlöset die Menschheit in glückselig-einiger Sattheit! Das wäre schon mal was; allein, man ist sich ja nicht mal einig, was überhaupt „gutes Essen“ sein soll. Außerdem verhindert das Wirtschaftssystem oder irgendeine andere böse Macht, dass Alle gutes Essen haben. Schlimm!

privat
Julia Seeliger

ist Autorin der taz.

Rainald Grebe sang: „Da steht das gute Leben vor dem Kühlregal“ - und macht sich damit über die Umdefinierung des Begriffs in manchen Öko-Kreisen lustig. Laut taz bzw. Marieluise Beck von den Grünen konnte Partei-Ikone Petra Kelly nicht gut gelebt haben, denn sie ernährte sich ja „von Käsekuchen und Cola“. Sie war „oft gehetzt“, nervte also ihr Umfeld - wahrscheinlich mit Gedanken über Politik.

Vielleicht ist diese Fetischisierung des guten Lebens eine gemütliche Pille für Ausgebrannte auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Die sitzen dann beim tazKongress im Kretschmann-Panel, lachen bei debilen Witzen über den Länderfinanzausgleich, und glauben, dass Kinder in der Schule heute wirklich lernen müssen, wie man über ein iPad wischt.

Kinder und Erwachsene müssen heute lernen, was unsere Computerwelt zusammenhält. Da hilft es mehr, sich für seinen Computer zu interessieren, Informationen zu googeln, in der Wikipedia zu lesen, mal einen Text ins Internet zu schreiben oder Programmiersprachen zu lernen. Die Piratenpartei könnte das rüberbringen. Wenn Christopher Lauer von den Piraten wie beim taz-Kongress auf seinem Handy spielt, während er in Diskussionsrunden sitzt, zeigt er vielleicht genau das: Dezentralität, andere Arbeitswelten, die Auflösung von Strukturen, Kontinuumzeit, Freude am Defragmentieren. Warum nicht so?

Aber das nur nebenbei. Ich schweife ab – und es war ja auch nicht alles schlecht beim taz-Kongress. Für mich selbst war es sogar das pure gute Leben: Zuerst machte ich eine unverständliche Banner-Aktion. Hing mit den Onlinern rum. Später traf ich Christian Ströbele, der mir auf mein grimmiges „Na, wie findst du‘s hier mit den ganzen Ökos?“ ein relaxtes „das ist Familientreffen hier“ entgegensetzte. Das machte mich glücklich. Abends trank ich viele Biere und verkleidete mich als Eule.

Schuhu! Be what you want. Oder eben, klassisch: Her mit dem schönen Leben!

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7 Kommentare

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  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    @hto

    Die Glücks- und Lustsuche hat das Denkvermögen per Motiv zum Ausgang aus der extrem unlustvollen zum Exempel elektriklosen Zeit geführt, wobei sogar die "Kooperation" und der Schutz der Schwäche ihren unverzichtbaren Wet emehr und mehr enthüllte. Dass das so lange gedauert hat, mit dere Elektrik, obwohl unser Vorfahren durchaus Intelligenz vorzuweisen hatten, gibt zu tiefster Dankbarkeit des "Juwels" Intelligenz Anlass. Leider sind die Intellektuellen fast durchweg mit Fragen a la Elektrik beschäftigt, oder "Stärkerenkritik", so das das Glück von "Räubern" aller Art sabotiert wird.

  • H
    hto

    @Wenk

     

    Na sag ich doch: Was des einen Lust ist, ist des anderen Unlust, die wiederum mit der Lust im "Recht des Stärkeren" ... immer hübsch im geistigen Stillstand, usw. :-)

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    @hto

    Die "anthropologische Konstante" ist: "Gut" ist, was Lust brimgt, "schlecht" ist, was Unlust bringt, als Realmotivation von Bewertung. Es folgt direkt die "Suche nach dem "guten Leben" als konstanter "Trieb" des Menschen.

     

    Die Steinzeitmenschen könnten uns in der Tat, bei unserer "Mordquote" und "Unlustzufügungsquote", nach dem Masse des"Gut und Schlecht" gemessen, für extrem weit unterlegen halten.

    Wie man aus soviel souveräner Naturbeherrschung soviel Unglück machen kann, war schon mal ein Bestsellertitel wert....

  • H
    hto

    "... sondern eine anthropologische Konstante."

     

    So so, also Stumpf-, Blöd- und Schwachsinn im geistigen Stillstand seit der "Vertreibung aus dem Paradies" - unser erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung, in die Symptomatiken des "Individualbewußtseins", was heute gutbürgerlich-gebildete Suppenkaspermentalität auf stets zeitgeistlich-reformistische Sündenbocksuche bedeutet, bei gleichermaßen unverarbeitete und somit leicht manipulierbare Bewußtseinsschwäche in Angst und Gewalt, für den Konsum- und Profitautismus des nun "freiheitlichen" Wettbewerbs um die Begehrlich- und Abhängigkeiten der Hierarchie im "Recht des Stärkeren" von "Gut und Böse" - anstatt die konsequenten und einzig menschenwürdigen Möglichkeiten eines geistig-heilenden Selbst- und Massenbewußtseins, wo GRUNDSÄTZLICH alles ..., damit PRINZIPIELL alles ..., OHNE ...!?

  • WM
    wie meinen?

    "verkleidete mich als Eule" ....hm? *grübel*

    Sitz ich auf dem Schlauch oder ist das ein Insiderwitz, den ich nicht checke?

  • DR
    Dr. rer. Nat. Harald Wenk

    Die suche nach dem "gutem Leben" ist in der Natur des Menschen mit dem Lustprinzip angelegt.

    "Die Erkenntnis des Guten und Schlechten ist nichts anderes als der Affekt der Lust und Unlust, insofer n ewir uns dessebn bewusst sind" (Spinoza, Ethik IV, Lehrsatz 8).

     

    Es ist also keine "neue Mode", sondern eine anthropologische Konstante.

     

    Es ist nicht möglich, ohne Spinoza Philosophie zu verstehen. Je postmoderner desto weniger.

  • AH
    Aus Haching

    Die eine Gruppe von Menschen, die sich konsequent der eigenen Vorstellung vom "guten" oder "richtigen" Leben unterworfen hat, sind Mönche und Nonnen.

     

    Dem Großteil der Menschen kann man das nicht zumuten - und warum sollte man es auch? "Gutes" Leben kann nur darin bestehen, mehr "Gutes" als "Schlechtes" zu tun, aber nicht in der Selbstverleugnung.