piwik no script img

Kolumne Bestellen und VersendenJunge Leader in Israel

Aram Lintzel
Kolumne
von Aram Lintzel

Kann man sich den Nahost-Konflikt künstlerisch aneignen? Bei aller Komplexität und Fülle ist er zugleich eine leere Fläche für maßlose Projektionen.

W er sich ungefragt zum Konflikt zwischen Israel und Palästinensern äußert, sollte nachweisen können, dass er nicht von vergifteten Obsessionen oder revisionistischer Schwatzsucht getrieben ist. "Das übertriebene Interesse an deinem Land, das nicht größer ist als ein Taschentuch […], macht dich misstrauisch", schreibt Régis Debray in seinem kürzlich auf Deutsch erschienenen "Brief an einen israelischen Freund".

Der Freund hat recht. Denn Fakt ist, dass es bei diesem Thema einen Blankoschein zum Meinunghaben gibt. Im Rahmen eines israelisch-deutschen Austauschprogramms, das mich im Dezember nach Ramallah und zur Westbank führte, wurde ich selbst Adressat der allgemeinen Kompetenzunterstellung.

Gleich zu Beginn des "German Israeli Young Leaders Exchange" der Bertelsmann-Stiftung wurde uns ein Blatt mit Fragen in die Hand gedrückt. "What do you think: Can the conflict be settled? If yes: How?" und dann noch: "Can you contribute to improving the situation?"

Maßlose Projektionen

Manch einem Teilnehmer, inklusive mir, war die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Nicht jeder kann sich schließlich seiner Sache so sicher sein wie der Neokommunist Slavoj Zizek, der es sich in seinem neuen Buch "Willkommen in interessanten Zeiten!" nicht nehmen lässt, den "kommunistischen Schachzug" als Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt vorzuschlagen.

Bei aller Komplexität und Fülle ist dieser Konflikt zugleich eine leere Fläche für maßlose Projektionen. Aber muss man den Meinungsdrang und -zwang immer schon unter Generalverdacht stellen? Ist der Verdacht nicht ebenso verdächtig? Womöglich entspricht es ja der magischen Projektionsfähigkeit des Nahostkonflikts, wenn man ihn wie einen offenen Text behandelt, an dem jedermann kollaborativ mitschreiben soll.

DER AUTOR

ARAM LINTZEL ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Grünen-Bundestagsfraktion und freier Publizist in Berlin.

Etwas in der Art dürfte sich Joshua Simon, Herausgeber des Buches "Solution 196-213 United States of Palestine-Israel", gedacht haben. Er schreibt im Vorwort, dass ein top-down entworfener "Ein-Mann-Masterplan" abwegig sei und stattdessen eine Vielfalt an Nahostlösungen entwickelt werden müsse.

Künstlerwissen statt Politikerwissen

Weil Israel eine Fantasie sei und der ganze Konflikt einen theatralen Aufführungscharakter angenommen habe, will man in dem bei Sternberg Press erschienenen Reader das Nahostproblem mit Künstlerwissen statt Politikerwissen angehen. "Spekulation und Erfindung" statt klassischer Konfliktbewältigung seien die angemessenen Herangehensweisen - es müssten "alternative Repräsentationen" des Konflikts geschaffen werden.

Das Resultat: ein Sammelsurium an Vorschlägen, von denen manche neue Möglichkeitslücken auftun, andere jedoch als zynische Quacksalberei gelesen werden können. Yael Bartana und Sebastian Cichocki schlagen eine jüdische Renaissancebewegung in Polen vor, Noam Yuran die Konversion linker jüdischer Israelis zum Islam, der Schriftsteller Ingo Niermann schwule und lesbische Siedlungen jenseits der grünen Linie sowie Reservate für Israelis und Palästinenser.

Manch einer der nerdigen Nahost-Experten, die wir auf unserem Bertelsmann-Trip trafen, könnten sich davon die technokratisch verkrusteten Synapsen lockern lassen. Nur leider ist in einigen Texten ein naives Urvertrauen in die überschreitende Kraft des Ästhetischen am Werk. Beim "Exterritory Project" von Ruti Sela und Maayan Amir etwa sollen Kunstwerke auf israelische Kriegsschiffe projiziert werden - ganz so, als stünde die fantasievolle Deregulierung von Kommunikation immer noch per se außerhalb der Macht.

So schlicht und undialektisch lässt sich der Konflikt dann doch nicht künstlerisch aneignen, und überhaupt: Wer sagt denn, dass "Lösungen" immer neu und originell sein müssen. Ist das nicht die Rhetorik neoliberaler Macher, die sich permanent von "Herausforderungen" umstellt sehen? Politik ist nun mal oft genug langweilig.

Auch im Falle des Israel-Palästina-Konflikts ist die naheliegende Zweistaatenlösung nicht aufregend neu, sondern alt und bekannt. Die "Desintegration der Realität, wie wir sie kennen", die sich zwei Autoren in "Solution 196-213 United States of Palestine-Israel" wünschen, klingt interessanter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Aram Lintzel
Politikwissenschaftler, arbeitet seit 2022 im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, vorher Referent für Kulturpolitik in der grünen Bundestagsfraktion. Autor und Redakteur für verschiedene Publikationen (Spex, de:bug, Texte zur Kunst, Polar, Travel Almanac ...). Schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither gelegentlich noch taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik. Bilanz mit der Grünen Tulpe gegen taz Panter FC: 2 Siege, 0 Unentschieden, 0 Niederlagen.

1 Kommentar

 / 
  • IR
    IDr. rer. Nat. Harald Wenk

    Da die soziale Realität ebenso psychisch "Konstruktivistisch", aber mit ihre Projektion auf die Handlungen doch recht tödlich und schmerzhaft sind, ist das Shakespearshe Argument der "Bühne" Welt doch und des Deleuze/Guattarischen Delirs etwas in einer ontologischen Unterschätzung resultierend rezipiert.

     

     

    Wenn uns die Welt noch immer wie üblich nach offizllem Nazi, Weltkrieg II, kalter Krieg und Kolonialismusende

    erstaunlich viel um die Ohren fliegt, liegt das viel am "Palistztinänser-Isreal"" Konflikt.

     

    Tasächlich kümmern wir uns um sehr viel andere Themen erheblich weniger.

     

    Die Herrschaft der "Kriegerkaste" mit Hilfe von Dauerkonflikten wird in einer nur psychoanalytisch zu entschlüsselnden perpetuierung von Mythen verlängert, die in in postmodernen strukturalischer Analysen (Dumezil) erkennbar ist.

     

    An sich ergäbe der "konstruktivistsche" Charakter der sozialen Realität der fast augenblicklichen Beendigung dieser tödlichen "Strukturen".

     

    Aber es ist konstruktivistische "Realität".

    Da wird also "sehenden Auges" Leben für "Vorteile" verstümmelt und gemordet, strukturell.

     

    Dass das intellktuelle Schwert der Erkenntnis nur so STUMPF ist, ist nach den Erfolgen der Anti-Vietnamkriegbewegung auhc nicht wahr.

     

    Insofern sind die eher Erkennstnisse als Meinungen über "Israel"-"Palestina" von HÖCHSTER REALER BEDEUTUNG.

     

    Die strukturelle Herrschaft der "Krieger-Kaste", die "Todesdrohung" als "Schmiermittel"! der sozialen Maschinerie.

    Der "Holocaust!" als De-Inkarnation dieses instrumentellen Umgangs mit der Tod der "Kriegerkaste" spielt den auch die Hauptrolle im Referenzkonflikt.

     

    So vergleichsweise offen "realsymbolisch" geht es selten bei den "Lebens- bzw. Todeslügen" der Gesellschaft zu.

     

    Da reicht schon tatsächlich das Lexikonwissen über Psychoanalyse zur Eigenanalyse aus.

     

    Nur den Mut, das zu tun, was wir wissen.