Kolumne Berliner Galerien: Geschichten des Scheiterns
Kolumnist Kito Nedo bahnt sich durch einen Parcours aus ungeheuerlichen Objekten in der Galerie Neu, bei Kraupa-Tuskany Zeidler und Pushkin & Gogol.
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T om Burr gilt als der Künstler mit dem untrüglichen Gespür für die libidinösen Kräfte, die in der Architektur gespeichert sind. Seine aktuelle Ausstellung mit dem Titel „Abridged/Gekürzt“ in der Galerie Neu bringt ältere und neue Arbeiten in konzentrierter Form zusammen. Im Zentrum steht eine Art Parcours aus drei brusthohen schwarzen Stellwänden („The Screens“, 2003), die eine beklemmende Ahnung von Dingen wie Dressur, Gewalt, Schmerz und Scheitern vermitteln.
Burr selbst – so steht es im Ausstellungsinformationsblatt – baute sie einst in Bezug auf Jean Genets Drama „Die Wände“ („Les Paravents“). In dem Skandalstück, welches 1961 im Berliner Schlossparktheater Uraufführung feierte, attackierte Genet den Algerienkrieg Frankreichs.
Zwischen Wellness und Folter
Nicht weniger unheimlich und architekturbezogen erscheint die Kunst von Anna Uddenberg. Ihre mit „Sante Par Aqua“ betitelte Schau in der Galerie Kraupa-Tuskany Zeidler ist offensichtlich von Wellness-Flughafenlounges für ruhesuchende Transitreisende inspiriert. Die klobigen Formen der Massagesessel, die man dort für gewöhnlich vorfindet, treibt Anna Uddenberg mittels exzessiver Polsterarbeit ins Extreme und vielleicht sogar Ungeheuerliche.
Diese zusammengetackerten, genähten und geschraubten Großskulpturen provozieren beim Betrachten vielfältige Assoziationen: futuristische Rodeo-Automaten, ausgeklügelte Folterapparate oder vielleicht Großmodelle von Insekten. Ja es ist wahr: Das zeitgenössische Reisen ist eine höchst trostlose und bisweilen quälerische, auf jeden Fall ungesunde Prozedur.
Galerie Neu, Linienstr. 119 abc, dienstags bis samstags11–18 Uhr, bis 30. November
Kraupa-Tuskany Zeidler, Kohlfurter Str. 41/43, dienstags bis samstags 11–18 Uhr, bis 13. Januar
Pushkin & Gogol, Alexandrinenstr. 4; Besuch nach Vereinbarung unter: info@pushkinandgogol.com, bis 9. Dezember
Konditionen des Lebens
Die Installation von Jesse Morgan Barnett in der Galerie Pushkin & Gogol an der Kreuzberger Alexandrinenstraße erweckt den Eindruck, als ob sich ihr Schöpfer gern mit den obskuren und dunklen Seiten der Gegenwartskultur beschäftigt: An der Wand hängt etwa ein Mercedes-Stern, der von einem „Selbstverzehrer“, einer zum Zirkel gewundenen Schlange umkreist wird.
Die zentrale Geschichte der Ausstellung handelt von Valery Spiridonov, einem russischen Informatiker, der vor ein paar Jahren international für Schlagzeilen sorgte, weil er sich aufgrund einer seltenen Muskelschwund-Krankheit als Freiwilliger für die ethisch hochumstrittene erste Kopf-Transplantation eines italienischen Arztes meldete. Die Operation soll demnächst in China stattfinden, aber ohne Spiridonov.
Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer donnerstags in der Printausgabe der taz
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