Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Die letzten Paradiese
Die organiserte Raserei auf deutschen Autobahnen boomt. Die Autowahn-Touristen sind begeistert, denn nur noch hier können sie ihre Temposucht ausleben.
S üchtig nach Geschwindigkeit? Alle reden von Beschleunigung, wir machen sie – bei der individuellen Autotour auf deutschen Autobahnen. Selfdrive-Touren im schnellen Mietwagen, selbstverständlich made in Germany, sind angesagt und legendär. Selbst in der berühmten Latterman-Show schwärmt der noch berühmtere Tom Hanks davon: In 70 Minuten von Dresden nach Berlin gebrettert auf der German Autobahn! Oh really? 1.729.235 Klicks!
Deutschland ist das Land der schnellen Autos mit einem gut ausgebauten Netz an Vollgasstrecken. Autofahrernation Nummer eins. Mit einer Gesamtlänge von 13.000 Kilometern ist die deutsche Autobahn Mythos, vor allem aber Rennstrecke.
Autoliebhaber aus Asien und Amerika reisen an, um durch das Land zu rasen. Sightseeing zwischen München und Berlin. Geschwindigkeitsrausch und Adrenalinkick garantiert.
Die TUI hatte das Hochgeschwindigkeitsrefugium als Geschäftsmodell entdeckt und bot chinesischen Touristen für 3.000 Euro Autobahnfahren in Deutschland an, andere Reiseveranstalter zogen nach.
Doch der Geschwindigkeitsrausch scheint sich nicht kollektiv vermarkten zu lassen: „Die sind mit 50 Chinesen über die Straßen gebrettert ohne Vorbereitung, das totale Chaos“, sagt der auf Chinareisende spezialisierte Reiseveranstalter Meng Chen dem Magazin Focus. Die rasende Verzückung doch eher etwas für lonely cowboys als für chinesische Reisegruppen?
Die deutsche Autobahn hat die Ökobewegung unbeschadet überstanden, auch jede Debatte über Verkehrssicherheit. Sie wird nun die Diskussion über eine Maut für Ausländer überstehen. Nicht weil diese gegen europäisches Recht verstößt, sondern weil sie unsexy ist: Freie Fahrt für freie Bürger und freie Wahl des Tempos ohne vom Gesetzgeber eingezogene Obergrenze!
Die legalisierte Raserei als Kompensation einer durch und durch regulierten Welt? Ein Bekenntnis zum schnellen Auto und seinen Ingenieuren.
Deutschland, das letzte Paradies für Autoenthusiasten!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!