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Kolumne Anderes TemperamentWhiskey Sour im Sandwichkiez

Doris Akrap
Kolumne
von Doris Akrap

Trotz gegenteiliger Stimmen: Der zwischen Kotti, Görli und freiem Neukölln liegende Sandwichkiez hält sich als Gesamtbrache ganz gut.

T oll, da war in meiner kleinen, unbedeutenden Kreuzberger Straße endlich mal was anderes los als Kinderwagenstau vor Beumer & Lutum, Dealerrazzia am Parkeingang, Sanitätereinsätze am Harald-Juhnke-Gedächtnis-Platz, stundenlanges Robben-&-Wientjes-Pritschen-Einparken nicht Auto fahren könnender Studenten, und ich war nicht da. Aber gut, selbst wenn ich da gewesen wäre, hätte ich wohl nichts mitbekommen. Denn auf diese Brache ist Verlass. Da passiert nichts.

Sie ist eine tolle Brache. Eine ganz besondere. Das muss einfach gesagt werden. Anders als die Exbrachen um die Ecken, die korrupte Brachen sind, weil sie sich vor ein paar Jahren von einer Moschee beziehungsweise einem McDonald’s überbauen ließen. Die Cuvrybrache bleibt eine widerständige Brache, an der sich schon so mancher echte Investor seine Zähne ausgebrochen hat. Wer da schon alles hinwollte und dann doch nicht kam: Loftbauer, Einkaufszentrumserschaffer, Discobetreiber und jetzt eben die Guggenheim-Lab-Macher.

Diese rar werdenden zählebigen Brachen sind ja bekanntlich die einzig wahren Mahnmale gegen den Naziwahnsinn: Dort, wo Nazi war, soll einfach nichts sein. So war es lange am Potsdamer Platz, keine Mitte, kein Zentrum zur Planung eines Massenmords, kein Shopping- oder Begegnungszentrum.

Gottloser Ostertourismus

Bild: Wolfgang Borrs
Doris Akrap

ist Redakteurin der taz.

Aber gut, das mit den Nazis ist lange her, und jetzt ist Ostern 2012, und in diese Stadt, in die kein Gott je einen Fuß gesetzt hat, wovon die Regel „Katholische Kirchen müssen von zwei Wohnhäusern eingerahmt werden“ noch heute zeugt, wird wieder mal von Ungläubigen aller Art geflutet: Zwei Millionen Touristen werden erwartet. Deren organisierte Stadtführungen durchs mythische Kreuzberg werden neben Ex-Bolle, Kotti, SO 36 und Mauerrest dieses Mal wahrscheinlich auch vor der widerspenstigen Brache haltmachen.

Denn da hat es wieder mal sein Gesicht gezeigt, das rebellische Kreuzberg, und damit sein Image gepflegt. So was lieben die Touristen. Wie gesagt, ich hab nichts gegen Berlintouristen. Die meisten derzeitigen Berliner waren früher selber welche.

Aber was dann doch noch gesagt werden muss, weil es sich ja sonst keiner traut: Dem Reichekiez droht keine Gefahr von einem Gentrifizierungs-Super-GAU. An dieser Stelle wurde ja bereits das letzte Mal darauf verwiesen, dass sich der zwischen Kotti, Görli und freiem Neukölln liegende Sandwichkiez noch ganz gut als Gesamtbrache hält. Nach etlichen empörten Reaktionen von Gentrifizierungsgegnern auf diese Feststellung begab ich mich also auf Vor-Ort-Recherche in den Westteil der Reichetangente, der ja eigentlich schon nicht mehr dazugehört.

Location in lost colours

Und siehe, da war sie tatsächlich, die Gentrifizierungskneipe. Grotesk voll, grotesk laut und lauter grotesk gelangweilte Gesichter. Eins wurde damit aber klar: Keine Angst, liebe Gentrifizierungsgegner, lange werden diese Leute hier nicht bleiben, die langweilen sich ja jetzt schon zu Tode. Was aber auch klar wurde: Einen besseren Whiskey Sour habe ich nie getrunken.

Nun lockte Kreuzberg an diesem Abend mit dem Angebot, den wunderbaren Detroit-DJ Theo Parrish zuzuhören.

Aber zur seriösen Untersuchung der Folgen der Gentrifizierung begab ich mich dann freiwillig dorthin, wo die Neuzugezogenen ja schon zu den Alteingesessenen gehören, nach Mitte, wo die Macher des Hate-Magazins das Erscheinen ihrer neuen Ausgabe feierten. Und zwar im „Naherholung Gretchen“, gleich neben der leerstehenden Riesenvideothek „Paradies“. „Location of lost colours“ heißt eine EP von Theo Parrish. Diese brachliegenden Läden lassen sich nicht besser beschreiben. Mitte scheint also wieder eine Option zu werden.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.

1 Kommentar

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  • M
    Michael

    Was, in aller Welt, will die Autorin eigentlich sagen? Oder ist das eine Insiderkolumne?