piwik no script img

Kolumne American PieDie Hoffnung nach dem Sturm

Kolumne
von Thomas Winkler

Erst kam Hurrikan „Harvey“, nun folgen Siege im Baseball: Die Heimerfolge der Houston Astros werden als Symbol des Widerstandsgeistes gefeiert.

Josh Reddick bei einem Sieg der Houston Astros Foto: ap

D raußen vor dem Stadion stand der selbsternannte Prophet und verkündete durch ein krächzendes Megaphon, dass die Apokalypse bald bevorsteht. Und wer sich umsah, der konnte leicht Anzeichen des dräuenden Weltuntergangs erkennen: In tiefen Pfützen, die in der Mittagsschwüle dampften, sammelte sich das letzte Wasser der Überschwemmungen, die die Stadt heimgesucht hatten. Aber das wollten die Menschen nicht sehen, die sich zu Tausenden auf den Weg gemacht hatten, um die heimkehrenden Helden zu begrüßen.

Hurrikan „Harvey“ hat nicht nur mehr als 60 Menschen auf dem Gewissen und viele mehr obdachlos gemacht, er hatte auch die Baseballmannschaft vertrieben. Die Houston Astros waren in der vergangenen Woche vor dem Sturm geflüchtet, hatten in Florida gespielt.

Nun kehrten sie zurück mit einem sogenannten Doubleheader: Gleich zwei Spiele gegen die New York Mets am Samstag. Nachmittags kamen 30.000, am Abend dann mehr als 34.000. Und die wollten die Katastrophe, die ihre Stadt heimgesucht hatte, vielleicht nicht vergessen, aber doch eine Rückkehr zur Normalität simulieren.

Die Heimkehr der Astros hatte schnell eine politische Dimension bekommen. Bürgermeister Sylvester Turner hatte das Management des MLB-Klubs bearbeitet, so bald wie möglich mit den Heimspielen in die geplagte Stadt zurückzukehren – trotz der zusammengebrochenen Infrastruktur, trotz unbewohnbarer Stadtviertel. „Wir standen in der Vergangenheit vor Herausforderungen und wir werden in der Zukunft vor Herausforderungen stehen. Wichtig aber ist, dass wir wieder aufstehen, wenn wir am Boden liegen“, sagte Turner, „und diese Spiele sind ein Zeugnis des Willens, wieder aufzustehen.“

Eine seltsam zwiespältige Stimmung herrschte dann im Stadion, bedrückt und doch erwartungsfroh. Sowohl Publikum wie Mannschaft waren angespannt – im Gegensatz zur gewohnten relaxten Atmosphäre bei Baseballspielen, die meist Familienpicknicks mit kontemplativer Sportbetrachtung sind. Die Astros hatten zu Lebensmittelspenden aufgerufen und Gratistickets in Notunterkünften verteilt. Doch die gedämpfte Stimmung war schnell verflogen, als die Astros beide Spiele gewannen.

„Boston Strong“

Die Rückkehr in ihre Stadt war auch der Beginn einer kleinen Siegesserie, die die Führung der Astros in ihrer Division festigte. Denn sportlich lief es glänzend für den Klub. Zu Mitte der langen, 162 Spiele währenden Saison war man zwar aufgrund von Verletzungen etwas aus dem Tritt geraten, aber die Qualifikation für die Play-offs war nicht wirklich in Gefahr.

Dann kam „Harvey“. Und mit ihm eine psychologisch schwierige Situation. Die Astros sind nun ein Symbol für den Widerstandsgeist der Stadt. An diesem Druck kann eine Mannschaft zerbrechen. Oder sie kann von ihm zum Erfolg getragen werden, so wie die Boston Red Sox 2013: Nach dem Terroranschlag auf den Boston Marathon im April jenes Jahres wurde jedes Heimspiel der Red Sox zu einer Demonstration gegen den Terror und für den Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Spieler hielten mal tränenreiche, mal trotzige Reden, hinter der Auswechselbank hing ein Trikot mit der Aufschrift „Boston Strong“. Dass die Red Sox dann die World Series für sich entschieden, war eine Klimax an der Grenze zum Kitsch.

Dass die Geschichte 2017 ähnlich verläuft, darauf hoffen sie nun in Houston. Und haben dem Schicksal schon etwas nachgeholfen. Am vergangen Donnerstag verpflichteten sie mit Justin Verlander einen der besten Pitcher seiner Generation. Der 34-Jährige kam im Tausch für drei Nachwuchstalente. Die Houston Astros haben eine hoffnungsvolle Zukunft gegen eine hoffentlich erfolgreiche Gegenwart eingetauscht. Und Hoffnung ist wohl das, was Houston gerade dringend braucht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!