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Kolumne Älter werdenEin wiederbelebtes Angstgefühl

Mit der Wahl von Barack Obama werden Erinnerungen wach. An Kennedy, an die Hoffnung und ihren Tod.

Wie die Schutt- und Ascheschichten der untergegangenen Trojanischen Reiche diverser Epochen zu einem chronologisch geordneten Gebirge "gestapelt" präsentiert sich auch das Zentrum für abgespeicherte kollektive und individuelle Erfahrungen in unserem Gehirn. Und mit den Jahren, liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links, wird das in den untersten Schichten verborgen liegende "Zeug" ganz vergessen - oder verdrängt. Die Archäologen der Hirne und der Seelen (Psychiater) stöbern auf Verlangen gegen gute Bezahlung gerne darin herum; meist vergeblich. Manchmal aber wird eine verschüttgegangene Schicht durch ein aktuelles Ereignis plötzlich freigelegt und zugänglich.

Bild: privat

Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.

Wie erst vor ein paar Tagen, als ich im TV sehen musste, wie der neue Hoffungsträger der Welt und künftige US-Präsident, Barack Obama, nach einem Besuch in Washington in seinen Jeep stieg und einfach wegfuhr. Kein Bodyguard, kein Polizist war zu sehen. Was für ein Leichtsinn! In mir kam sofort ein diffuses Gefühl von Angst auf - und mit ihm wieder die Erinnerung an den Tag, an dem John F. Kennedy starb. Ich war elf Jahre alt. Den ganzen Abend über lief unser (erster) Fernseher; und nie zuvor hatte ich meine Eltern und Großeltern so fassungslos erlebt. Zum ersten Mal in meinem (behüteten) Leben war ich - indirekt - mit politisch motivierter Gewalt konfrontiert. Und umgehend nahm damals das jetzt wieder angekrochene Angstgefühl von mir Besitz.

JFK - das hab ich erst später richtig begriffen - war der erste Hoffnungsträger der westlichen Welt. Der erste "Ami", der mit seinem Charme und seinem unerschütterlichen Bekenntnis zur Demokratie selbst die kalten Herzen der verhärteten Generation Weltkrieg II rechts in der noch immer bewegungslos verharrenden Gesellschaft der BRD aufbrach. Und der erste Präsident der USA, der Afroamerikanern, eingewanderten Lateinamerikanern und Indianern versichert hatte, dass sie jetzt alle gleichberechtigte Staatsbürger EINER einzigen und einigen Nation seien.

Und noch etwas fiel mir wieder ein: der Song "New York 1963 - America 1968" des weißen Bluesman Eric Burdon (67) aus Newcastle, der dann 1970 in den Staaten als einer der ersten Exponenten der Generation Beat mit ausschließlich schwarzen Musikern zusammenarbeitete (War). In dieser Ballade berichtet er vom Schockzustand einer ganzen Nation nach dem Attentat am 22. 11. 1963 - und von den mit Kennedy begrabenen Hoffnungen: "Another ending of a new beginning!" Viele hätten nach den Schüssen auf JFK geweint, heißt es in diesem langen (an-) klagenden Blues weiter, in dem am Ende auch einige Schwarze mit ihren ganz persönlichen Statements zur Lage der nach dem Tod des Präsidenten wieder nach Rassen (auf-)geteilten Nation zu Wort kommen. Andere hätten denn auch gegrinst, als man Kennedy zu Grabe trug (Burdon). Und in den Südstaaten brannten wieder die Kreuze des Clan.

US-Amerikaner 50 plus ff. wissen noch heute genau, wo sie waren, als die tödlichen Schüsse fielen. Der damals 21 Jahre alte Lou Reed etwa, der spätere Frontmann der legendären Artrockgruppe Velvet Unterground, saß gerade in einer Bar, als das Fernsehprogramm unterbrochen wurde und ein Reporter berichtete, dass der Präsident einem Attentat zum Opfer gefallen sei: "The President is dead, hes been shot twice in his head, and nobody knows by whom!" Geschockt seien sie alle raus auf die Straße gerannt, erzählt der New Yorker Reed (66) unaufgeregt, aber deshalb umso eindrucksvoller auf dem ganz wunderbaren Album "The Blue Mask" in dem Stück: "The Day John Kennedy Died!"

45 Jahre ist das nun her. Und sicher: Geschichte wiederholt sich nur als Farce. Aber auch in einer Farce wird gestorben - manchmal. Jeden Morgen erwacht schließlich nicht nur in den Staaten nicht nur ein - bewaffneter - Irrer. Obama ist als Hoffungsträger heute ein Kennedy hoch drei; und sein Tod wäre (erneut) eine nationale, jetzt aber auch eine globale Megakatastrophe - der Rückfall in die Barbarei und der abschließende Triumph des Bösen. Deshalb: Schützt Obama immer und überall!!! In UNSEREM Leben nämlich wollen WIR dieses traurige Lied über das feige Attentat von 1963 nicht noch einmal hören: "And when I got to America, I say it blew my mind" (Burdon).

Rein: Sampler "The House Of The Rising Sun" von Eric Burdon & The Animals (Edition Zweitausendeins). André Dominé, "Wein", 919 S. (Edition Könemann).

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1 Kommentar

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  • H
    hto

    Zitat Klingelschmitt: "JFK - das hab ich erst später richtig begriffen - war der erste Hoffnungsträger der westlichen Welt."

     

    JFK war, wenn man die stumpf- und wahnsinnigen Vorgänge für die systemrationale Pflege der gleichermaßen unverarbeiteten / manipulierbaren Bewußtseinsschwäche in Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein" mit wahrhaftiger Vernunftbegabung begreift, bloß ein Miterfinder des Mottos "We love to entertain you", mehr nicht - Hoffnung ist im Wettbewerb um "Wer soll das bezahlen?" und konfusionierender Sündenbocksuche nur der Blödsinn für die Hierarchie in materialistisch-gebildeter Suppenkaspermentalität.