Kolumne Älter werden: Wo fließt der Rhein?
Älter werden bedeutet vor allem eines: Man hat endlich etwas mehr Geschmack und Ahnung.
L iebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Was sind wir alle froh darüber, schon etwas älter zu sein. Dass wir längst gelernt haben, etwa einen brillanten Riesling "vom muscheligen Kalk" aus dem Weingut Keller und dazu - aktuell - köstliche, nur mit zerlassener Butter konfrontierte Stangenspargel slow zu genießen; gepflegte Konversation - gerne auch kontrovers - inklusive. Dass wir inzwischen auch wissen (insbesondere die Männer), wie wir uns je nach Typ und Anlass anzuziehen haben.
Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.
Ist Ihnen das nicht auch schon einmal aufgefallen? Dass wir heute doch irgendwie besser aussehen und generell viel mehr Geschmack (an allem) haben als - äh - etwa in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Noch immer überkommt mich das Grauen, wenn ich Fotos aus dieser Zwischenzeit betrachte: weiße Turnschuhe (kreisch!) und dazu eng sitzende schwarze Lederjeans, wie sie Jim (+ 1971) gerne trug: He was a monster, black dressed in leather (The Doors). Bei den Genossen von der Generation 20 plus links Abteilung Realsozialismus waren Bluejeans und Fischerblousons die Nonkonformistenuniform; und Zahntod Tom plus Fettfritten mit Majo unser aller täglich Brot.
NUR deshalb haben wir heute auch ein bisschen Mitleid mit den armen jungen Dingern, die Tag für Tag knallbunte Chemikalien trinken und dazu Pizza mit Analogkäse in sich hineinstopfen (müssen), nur um auch bei der Nahrungsaufnahme einigermaßen "IN" zu sein - oder gar in Baumärkten viereckig zugeschnittene, mit Sägemehl vorpanierte Platten aus einer (angeblichen) Fleischmasse unbekannter Herkunft, die man im Toaster erhitzen muss (Dont call it Schnitzel!). Und wir - female - brauchen auch keine auf den Hüftknochen hängenden Drillichhosen aus dem letzten Irakkrieg anzuziehen, die beim Bücken - wie neulich bei der blutjungen Reporterin eines prekären TV-Senders - gleich den Stringtanga (pink) zur Schau stellten.
Und - male - auch nicht die beim Gehen mit dem Bund die Kniekehlen wund scheuernden Durchhängerhosen der Generation Rap plus Porno. Auch auf von überall tätowierten glatzköpfigen Stechern (alles Autodidakten) selbst noch in die Schamlippen - female - oder das Skrotum - male - gepiercte Gardinenringe können wir (gerne) verzichten; nicht nur aus ästhetischen Gründen. Aus dem Alter sind wir - Gott oder wem auch immer sei Dank - raus!
Leider herrscht aber auch in den Köpfen dieser Containerkinder (Big Brother), die in der Informationsgesellschaft heute - im Gegensatz zu uns damals (es gab ja noch nicht einmal eine taz) - viel Finsternis. Zum Beispiel Quiz mit Jörg P. im Ersten: Zwei Jura- oder BWL-Studentinnen (egal) treten auf. Und dann kommt auch gleich schon die Hammerfrage: Welcher dieser Flüsse fließt in den Rhein? Mississippi, Mosel, Nil oder Ganges? Oh Gott! In Geografie war ich immer schwach. Oh Gott! Ich war schon einmal in Holland, in Antwerpen, aber noch nie an diesen Flüssen? Ich sag jetzt mal Ganges und hoffe, dass es die Sandra besser weiß!
Noch (weitere) Fragen. Lieber nicht. Wie gesagt: Gut, dass wir schon ein bisschen älter sind; und in Erinnerung an unsere 70er - ausnahmsweise - auch in face mit diesen hoffnungslosen Fällen noch einmal (!) tolerant. Hier kann jeder machen, was er will - im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, versteht sich, sang Väterchen Franz schließlich schon 68.
Rein: Felix Mendelssohn, Symphonien komplett, Philharmonisches Orchester Amsterdam. Raus: Der - goldene - Afghane.
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