Kolumne Älter werden: Keine Toleranz für die Tolleranten
Sind die Deutschen wirklich islam- und generell ausländerfeindlich? Die Tolleranten wohnen jedenfalls meist nicht in Parallelgesellschaftsghettos.
D en Deutschen (?) wird insbesondere seit der Ermordung einer aus Ägypten stammenden Frau durch einen aus Russland stammenden, offenbar psychisch kranken rechtsradikalen Mann von den tolleranten Schreibtischtätern im Lande attestiert, durchgängig speziell islam- und generell fremdenfeindlich zu sein. Die Tolleranten berufen sich dabei auf ein obskures Internetforum, in dem tatsächlich übel gegen in Deutschland lebende Muslime gehetzt wird. Und auf eine ominöse Umfrage, wonach die meisten Deutschen keine Türken als Nachbarn haben wollten.
Liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Wen hätten Sie gerne gleich nebenan? Ich jedenfalls würde mir liebe Leute wünschen, die nie daheim sind. Auf gar keinen Fall aber schon wieder Griechen; die letzten waren so patzig. Türken? Warum nicht; wenn sie nicht über zu viel Verwandtschaft verfügen (immer diese Lauferei im Treppenhaus). Und Russen? Ja also? Russen. Ähh? Was für Russen eigentlich? Ein Pärchen vielleicht? Schwups! Schon bin ich als Ausländer- und Islamhasser enttarnt. Dabei möchte ich doch auch keine - besserwisserischen - urdeutschen Oberlehrer als Nachbarn haben, keine passionierten Obiaten (Heimwerker) und schon gar keine Mitglieder des IKEA Familienclubs (die einen im Hausflur duzen). Aber danach wird ja nicht gefragt. Deutsche wie du und ich haben qua Definition der Tolleranten intolerante Ausländer- und Islamfeinde zu sein.
Doch die Deutschen - gerade die (noch) älteren als wir von My Generation - haben in ihrem Leben schon mehrfach herausragende Integrationsleistungen erbracht: Mit der geglückten Eingliederung von Millionen von Gastarbeitern und ihren Familien aus Südeuropa in diese freie und inzwischen (nach seriösen Erhebungen im AUSLAND) wohl toleranteste Gesellschaft der Welt, die mit unser Lebenswerk (68 ff.) ist. Und mit der herzlichen Aufnahme der vietnamesischen Boatpeople und dann auch der muslimischen Kriegsflüchtlinge aus Bosnien. Doch für die Tolleranten müssen die Deutschen aktuell erst einmal den Beweis dafür erbringen, dass sie dazu fähig sind, auch einen Menschen asiatischer Abstammung an der Spitze (der politischen Klasse) ertragen zu können. Ja, spinn ich denn!? Wer anderes als die Deutschen soll denn sonst diesen smarten, in Vietnam geborenen Freidemokraten ins Bundeskabinett befördert haben; und den schwulen Guido gleich mit!? Vielleicht Heinzelmännchen mit Migrationshintergrund!?
Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.
In einem Hochhaus an der Peripherie der Stadt wohnt eine Schulkameradin meiner Mutter (78); als Armutsrentnerin kam sie da nicht mehr rechtzeitig raus. Ihre Nachbarn stammen nun aus Marokko und Ostanatolien. Die Klingelanlage und die Briefkästen sind jetzt immer kaputt, der Aufzug funktioniert nicht, die Wände sind beschmiert. Als sie es wagte, sich darüber zu beschweren, wurde nachts an ihre Tür gehämmert, im aufgebrochenen Briefkasten lag Hundekot, ihre Post wurde zerfetzt und sie selbst übel beschimpft. Natürlich: Es gibt auch (mehr als genug) deutsche Arschlöcher. Doch auch diese, von einer alten Frau vorgetragene bittere Wahrheit - ihre Alltagserfahrung - ist dem Menschen zumutbar (Ingeborg Bachmann). Was hätte diese verzweifelte Frau 70 plus weder links noch rechts wohl auf die Frage, wen sie gerne zum Nachbarn hätte, geantwortet? Übrigens: Die Tolleranten wohnen meist nicht in solchen Parallelgesellschaftsghettos; und sie schicken ihre Söhne und Töchter auch nicht auf die von ihnen zuvor immer laut propagierten multikulturellen Ganztagsgesamtschulen, sondern lieber gleich auf die richtigen Gymnasien. Es geht ja schließlich um unsere Kinder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau