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Kolumne 16 mm diederichsenDas Fell der Bären verteilen

Und zwar, bevor die Berlinale vorbei ist! An die männliche Hauptdarstellung, Ostasiatisches Wetter, Zweitbestes männliches Wiesel und Schönste Hotelzimmerbilder

Bild: rüdiger schestag/kiwi

Diedrich Diederichsen, Jahrgang 1957, ist Kulturwissenschatler und Professor an der Merz Akademie in Stuttgar. Er gilt als einer der wichtigsten Poptheoretiker

Der beste männliche Nebendarsteller: In "La Rabia" von Albertina Carri, einem dampfenden Sexualschlachtfest aus der argentinischen Pampa, sieht man einen jungen Burschen, der einen Sack durch wahnsinnig schöne Bilder schleppt. Im Sack rumoren leise grunzende Stimmen, wie ein unterforderter Rindermagen. Der Bursche haut den Sack an einen Baum, bis nichts mehr rumort. Dann schmeißt er ihn in einen Tümpel, wo er glucksend halb untergeht. Dann grummelt es wieder. Später sieht man, dass er sich ein Wiesel in einem Käfig hält, und erfährt, dass im Sack dessen Schwestern waren. Ich habe selten ein böseres Tier gesehen. Sein Gesichtsausdruck gehört zum Fauchen, aber man hört nur das mittlerweile eingeführte Magenknurren. Das macht das Tier noch wütender.

Männliche Hauptdarstellung: Tony Conrad hüpft in dem Kurzfilm, den Marie Losier über ihn gedreht hat, in einem weißen und einem rosa Anzug herum, tanzt, erzählt von Jack Smith und La Monte Young, legt hawaiianische Popmusik auf, spielt seine Mutter in authentischen Klamotten und legt Filme nach überliefertem Rezept in Einweckgläsern ein. Insgesamt waren diese gefühlten 15 Minuten doch unterhaltsamer als die auch nicht unbeeindruckenden drei Stunden, die man mit Michel Auder, seinen vielen nackten Promi-Geliebten, geangelten und brutal geschlachteten Fischen, berühmten Ehefrauen (Viva, Cindy Sherman), seinem Heroin, seinen Weinen und seinem Schwanz (den sein Besitzer sehr mag) in seiner Auto- und Super-8-Filmo- und Videografie "The Feature" verbringen durfte.

Ostasiatisches Wetter: Im Gegensatz zum Berlinale-Wetter war das der ostasiatischen Filme in allen Sektionen komplett gleichartig. In allen südkoreanischen, thailändischen, singapurischen, taiwanesischen, festlandchinesischen und japanischen Beiträgen herrschte exakt das gleiche Wetter: schwüle Luft, dunkle Wolken, schwerer Sommerregen unmittelbar bevorstehend. Sogar in "Night and Day", einem koreanischen Film, der zu 95 Prozent in Paris spielt, herrscht den lieben langen Pariser August, September und Oktober dieses Wetter. Nach 55 Minuten von "Soul Of A Demon" von Chang tso-chi (Taiwan) kommt kurz die Sonne raus.

Zweitbestes männliches Wiesel: Keith Richards.

Zweitbeste Filme mit stummen Hauptfiguren: Es gab keinen besten Film in dieser Berlinale (so far). Aber es gab einige zweitbeste. Das waren Filme, die sich eine komplette Welt ausdachten, jedes Gesetz für diese Welt festlegten und danach handelten. Ein Ort am Meer auf Taiwan und eine vorgelagerte Insel in "Soul of a Demon". Alles wird von den Ehrenhändeln unter den Triaden und Yakuzas bestimmt, auch und gerade die schwüle Poesie der Schmetterlinge, Schlangen und der irren Geografie. Die Epiphanien der Bambuswälder, des Patronhülsengeklackers und der dolchdurchbohrten Därme. Die Frauen verstummen. Auch "La Rabia" zeigt eine vollkommen autochthone Filmemacherabgeschiedenheit unter den trieb- und mondlichtgesteuerten Bauern Argentiniens. Hier verstummen schon kleine Mädchen. In dem allseits vergötterten "There Will Be Blood" wird der "Sohn" der Daniel-Day-Lewis-Figur taub. Sagt dann auch nicht mehr viel.

Schönste Hotelzimmerbilder: In "Revanche" von Götz Spielmann fliehen die ukrainische Prostituierte und der ambivalente Wiener Hilfszuhälter in ein Hotelzimmer. Dort hängen einmalige, abstrakt-expressionistische Zeichnungen an der Wand. Im Hotelzimmer, das der schweigsame, melancholische Gangstersohn und seine verstummte Freundin in "Soul Of A Demon" mieten, hängt ein umwerfend hilfloses Gemälde, das dieselbe Küstenlinie darstellt, die einem der Film kurz darauf stolz vom Hubschrauber präsentiert.

Vorsicht mit Foucault-Referaten! In "Tropa de Elite" finden sich Menschen zu einem Foucault-Referat in einem Soziologie-Seminar zusammen, die sich besser nie begegnet wären. Das passiert oft bei Foucault-Referaten. Beim Halten des Referates, das wohl aus strategischen Gründen die Hübsche aus der Gruppe übernimmt, wird dann auch barer Unsinn geredet.

Kritik der Urteilskraft: In der unerträglich langweiligen japanischen Faschismus-Aufarbeitung "Kabei" verlangt der von den Bösen inhaftierte gute Vater, seine, im Übrigen moralisch einwandfreie, Familie und sein vorbildlicher Lieblingsstudent mögen ihm Bücher von Kant und Nietzsche ins Gefängnis bringen. Die Titel werden auf Deutsch ausgesprochen. Das waren heitere Momente! Und die Höhepunkte der 130 Minuten. Später stirbt der Vater in der Haft. Was aus den Büchern wird, erfährt man nicht.

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