: Kollektiv versagt
ARCANDOR Detailliert erklärt der Wirtschafts-journalist Hagen Seidel den Ruin des Konzerns Arcandor. Zwei streitbare Biographien blicken auf die Lebensleistung von Quelle-Gründer Gustav Schickedanz sowie der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz
Im Juni letzten Jahres musste die Arcandor AG, Nachfolger der KarstadtQuelle AG, Insolvenz anmelden. Für Quelle folgte das direkte Aus. Die Warenhausabteilung Karstadt hat mit Nicolas Berggruen einen neuen Investor gefunden, der einen Neustart wagen will. Die Arcandor-Pleite ist einzigartig in der deutschen Geschichte. Wie konnte der Konzern, der 2004 einen Umsatz von 15,3 Milliarden Euro erwirtschaftete und mehr als 100.000 Menschen Arbeit bot, in die Zahlungsunfähigkeit geraten? Dieser Frage geht der Wirtschaftsjournalist Hagen Seidel in seinem Buch „Arcandors Absturz“ nach. Minutiös schildert er die Vorgänge, die zum Ruin des Milliardenkonzerns geführt haben.
Seidels herausragende Analyse setzt mit dem Zusammenschluss von Karstadt und Quelle 1999 ein und endet mit dem Mietstreit zwischen dem Vermieterkonsortium Highstreet und dem Karstadt-Neueigentümer Berggruen. Eine kontinuierliche Strategie, um das Unternehmen erfolgreich ins 21. Jahrhundert zu führen, konnte aufgrund von Managementfehlern und dem kollektiven Versagen der Unternehmensführung nicht entstehen, meint Seidel. Folgerichtig fiel der Konzern erst hinter seine Konkurrenten zurück, bis er schließlich nicht mehr marktfähig war.
Detailliert zeigt Seidel das Unvermögen des Spitzenpersonals auf, den Konzern auf neue Beine zu stellen. Von den Vorstandsvorsitzenden gelang es weder Walter Deuss, noch Wolfgang Urban oder Christoph Achenbach, die beiden Traditionsunternehmen strategisch zusammenzuführen. Thomas Middelhoff setzte daher auf strikte Trennung der Konzernteile und scheiterte damit fatal. Als Karl-Gerhard Eick im März 2009 Middelhoffs Posten übernahm, war der Konzern rettungslos verschuldet. Ihm blieb nur, den Konzern in die Insolvenz und damit in die Hände von Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg zu überführen.
Den Untergang des Milliardenkonzerns führt Seidel aber auch auf die Immobilienverkäufe unter Urban und Middelhoff zurück. Er deckt die Einzelheiten dieser Verträge auf und ermöglicht erstmals ein tiefes Verständnis der bis heute nachwirkenden Mietproblematik der Karstadt-Häuser. Außerdem führt der Autor die Hilflosigkeit des Aufsichtsrats, die Klientelpolitik der Betriebsräte sowie die Verweigerung der Haupteigentümer zur Unternehmenssteuerung als Gründe des Zusammenbruchs an. „Klassische Kaufmannstugenden“ auf Führungsebene hätten die Überlebenschancen von Arcandor vergrößert, meint Seidel.
Der Biograph von Quelle-Gründer Gustav Schickedanz Gregor Schöllgen sieht Schickedanz und seine Quelle hingegen als Phänomen des Wirtschaftswunderdeutschlands. Man habe „offenbar auf einen wie diesen Gustav Schickedanz und seine Quelle gewartet.“ Die Quelle-Story beschreibt Schöllgen in seiner „Biographie eines Revolutionärs“ als Teil der Nachkriegsgeschichte, in der Quelle zu Europas größtem Versandhaus aufstieg. Dabei verklärt er die Rolle des Quelle-Gründers in den 1930er Jahren, als Schickedanz durch Zukäufe jüdischer Unternehmen Quelle zum größten deutschen Versandhaus ausbaute. Schickedanz Beitrag zur Arisierungspolitik der Nationalsozialisten deutet er als vorausschauenden Wirtschaftsakt, zumal dieser die jüdischen Besitzer „aus einer misslichen Situation befreit“ hätte. Bei den Nürnberger Prozessen wurde Schickedanz als „Mitläufer“ eingestuft und erhielt Berufsverbot bis 1949.
Wie viel Verantwortung Madeleine Schickedanz am Ruin des Milliardenkonzerns trägt, bleibt auch bei Anja Kummerows „intimer Biographie“ der Madeleine Schickedanz unklar (MVG-Verlag, 19.95 Euro). Sie fasst lediglich die wenigen Details, die aus dem Leben der öffentlichkeitsscheuen Schickedanz bekannt sind, zusammen und reichert diese mit der jüngeren Quelle-Geschichte an. Wer sich für die Nachkriegsgeschichte der Quelle interessiert, kommt an Schöllgens – unkritischer – Schickedanz-Biographie nicht vorbei. THOMAS HUMMITZSCH
■ Hagen Seidel: „Arcandors Absturz Wie man einen Milliardenkonzern ruiniert“. Campus, Frankfurt/M. 2010, 300 S., 24,95 Euro
■ Gregor Schöllgen: „Gustav Schickedanz. 1895–1977. Biographie eines Revolutionärs“. Berlin-Verlag, Berlin 2010, 464 S., 32 Euro