Kokaanbau in Bolivien: Drogenhandel bedroht Morales
Der Präsident weist den Vorwurf Washingtons zurück, im Antidrogenkrieg versagt zu haben. Der Kokaanbau und die Kokainproduktion steigen weiter kontinuierlich an.
Vor dem Kokagroßmarkt von Villa Fátima stemmen zwei Männer 23-Kilo-Säcke auf einen kleinen Lkw. "Alles unter Kontrolle", schmunzelt Jessi Gómez vom Inspektorenteam des Vizeministeriums für Koka. Sie stellt die Dokumente für die Kokaladungen aus, die legal in alle Teile Boliviens gehen, bis zu 1.000 Säcke am Tag. Die kleinen, dunkelgrünen Blätter, die im Außenbezirk von La Paz umgeschlagen werden, stammen aus den Yungas, dem traditionellen Anbaugebiet einige Autostunden nördlich.
Doch der legale Kokaanbau, der auf 12.000 Hektar stattfindet, macht einen immer geringeren Teil der Gesamtproduktion aus. Nach Zahlen des UN-Drogenbüros wurde 2008 schon auf 30.500 Hektar Koka angebaut. Die Kokainproduktion schätzten die UN-Experten auf 113 Tonnen, in Peru hingegen auf 302 Tonnen und in Kolumbien auf 430 Tonnen.
Doch aus der Perspektive der USA sieht das Ganze anders aus: Jahr für Jahr stellt Washington Zeugnisse für die Produktions- und Transitländer harter Drogen aus. In einer Pressemitteilung des Weißen Hauses vom Freitag vergangener Woche werden 20 Länder von Afghanistan bis Venezuela aufgelistet. Nur drei davon haben laut US-Präsident Barack Obama "nachweislich versagt": Birma (Myanmar), Bolivien und Venezuela. Damit stellt er dieselben Regierungen an den Pranger wie vor einem Jahr sein Amtsvorgänger George W. Bush.
Im Fall der beiden südamerikanischen Länder wolle man aber von Sanktionen absehen, denn, so wörtlich, "Unterstützung für Hilfsprogramme zugunsten Venezuelas demokratischer Institutionen und fortgesetzte Unterstützung bilateraler Programme in Bolivien liegen im vitalen Interesse der Vereinigten Staaten."
Der bolivianische Staatschef reagierte verschnupft. Washington habe nicht die moralische Autorität, um Bolivien zu verurteilen, sagte Evo Morales in La Paz auf einer Pressekonferenz. Für die USA sei die Antidrogenpolitik "ein Instrument der geopolitischen Kontrolle". 2009 hätten die bolivianischen Behörden zudem bislang 19,4 Tonnen Kokain und Kokapaste beschlagnahmt, so Morales. 2005, vor seinem Amtsantritt, seien nur 11 Tonnen konfisziert worden. Seit Jahresbeginn hätten die Behörden über 3.700 Drogenlabors zerstört, fügte Óscar Nina, der Chef des nationalen Antidrogenprogramms, hinzu.
"Solange es einen Markt für Kokain gibt, können wir den Kokaanbau so viel verringern, wie wir wollen - ein Teil wird immer umgeleitet werden, das ist unsere Realität", räumte Morales ein. Gegenüber Washington klagt er das Prinzip der "geteilten Verantwortung" ein: Die USA hätten dabei versagt, die Nachfrage nach Kokain und anderen Drogen zu reduzieren.
"Der Drogenhandel wird zur größten Bedrohung unseres politischen Prozesses", meint Javier Hurtado, der bis Mitte vergangenen Jahres Produktionsminister der Morales-Regierung war. "Jetzt läuft das aus dem Ruder." Natürlich liege die größte Verantwortung bei den USA, doch der Präsident habe das Thema unterschätzt. Seit Morales Regierungsantritt Anfang 2006 bis zu ihrer Ausweisung im November 2008 hätte die Funktionäre der US-Drogenbehörde DEA die Kontrollen an den Zufahrten in die Anbaugebiete praktisch eingestellt: "Das war eine Falle, um Morales anklagen zu können."
"Das Tragische dabei ist: Die Kokabauernbewegung, also die eigene Basis des Präsidenten, droht in den kriminellen Bereich abzurutschen, die Verbindungen zu den Drogenhändlern werden immer offensichtlicher", analysiert Hurtado. Viele Bauern aus den Yungas brächten ihre Ernte nach Santa Cruz in Ostbolivien und übergäben sie dort "in aller Öffentlichkeit" an die Handlanger der Mafia.
Im Gegensatz zum Anbaugebiet Chapare, wo Morales in den Achtzigerjahren seine politische Karriere als Kokabauerngewerkschafter begonnen hatte, habe seine Partei die Kokabauern in den Yungas nicht im Griff: "Jetzt werden Zitrusplantagen und ganze Wälder gefällt - die jahrhundertelange ökologische Landwirtschaft weicht einer Monokultur mit massivem Einsatz von Pflanzengiften."
Als Chef von Irupana, Boliviens größter Bioladenkette, zieht Hurtado ein ernüchterndes Zwischenfazit über die Versuche der Regierung, die Verarbeitung legaler Kokaprodukte im großen Stil voranzutreiben: "Das Vorhaben scheitert bislang an den fehlenden Märkten." Ungebrochen sei hingegen die Nachfrage nach der höchst lukrativen Droge Kokain. Hurtado: "Wenn das so weitergeht, bekommen wir mexikanische Verhältnisse, mit Drogenbanden, die sich gegenseitig bekämpfen."
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