: Kohls „Abgabe-Opfer“: Infusionslösung für SPD
Bonn (taz/dpa/ap/) —Alle Hände voll zu tun hatten gestern führende Unionspolitiker, um die Ankündigung höherer Abgaben durch Bundeskanzler Kohl zurechtzurücken. Regierungspartner FDP nutzte die Profilierungschance, und die Sozialdemokraten hieben so heftig auf den Kanzler ein, als ließe sich mit dessen Abgabe-Ausrutscher doch noch die Wahl gewinnen.
Beamtenbund und IG-Metall gaben schon mal vorsorglich zu Protokoll, daß mit ihnen „Sonderopfer“ für die Einheit nicht zu machen seien. Kanzleramtsminister Seiters erklärte, Kohl habe mit seinen Äußerungen auf einer Wahlveranstaltung am Samstag in München lediglich auf bevorstehende Abgabenerhöhungen im Umweltbereich hinweisen wollen, die bereits in Beschlüssen des Kabinetts oder im CDU-Wahlprogramm verankert seien. „Widersprüche“ habe der Kanzler nicht erzeugt. Seiters wertete Kohls Äußerungen kurz vor der Wahl als „Ausdruck politischer Ehrlichkeit“, räumte jedoch ein, daß nicht allen Bürgern der Unterschied zwischen Steuern und Abgaben präsent sei. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Bohl, erklärte, entscheidend sei, daß die Abgaben nur zweckgebunden für den Umweltschutz erhoben würden. Das betreffe die Umwandlung der KFZ-Steuer in eine Schadstoffsteuer, die Einführung einer Kohlendioxyd-, sowie einer Deponieabgabe für Sonderabfälle. Die Union bleibe bei ihrer Ablehnung, die Einheit mit Steuererhöhungen zu finanzieren.
Als „merkwürdige Verwirrungen und Irrungen“ wertete hingegen FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff die Kanzleräußerung. Die Union schaukle und wackle in der Steuerpolitik. Man müsse „von allen guten Geistern verlassen sein“, wenn man 14 Tage vor der Wahl den erstaunten Bürgern den Unterschied zwischen Steuern und Abgaben vermitteln wolle. Die Entlastungsversuche, Kohl habe ja nur an die Umwelt gedacht, wies Lambsdorff zurück. Die Äußerung sei im Zusammenhang mit den Kosten der deutschen Einheit gefallen. Zusammenfassend wertete Lambsdorff Kohls Abgabenankündigung als „Frischzellenkur“ für die SPD.
Dementsprechend reagierte SPD- Kanzlerkandidat Lafontaine. Die Katze sei aus dem Sack. Mittlerweile sei unbestritten, daß nach den Wahlen bei breiten Schichten der Bevölkerung „rücksichtslos abkassiert“ werden solle. Lafontaine prognostizierte ein 200-Milliarden-Loch im Haushalt '91. Die von Finanzminister Waigel vorgelegten Eckwerte nannte Lafontaine eine „Mogelpackung“. Der deutsche Beamtenbund wies Waigels Ankündigung, die Beamten müßten einen Beitrag zur Finanzierung der Einheit leisten, zurück und forderte für 1991 eine Einkommensverbesserung von 10,5 Prozent. IG-Metall-Chef Steinkühler regte anstelle eines Lohnverzichts eine Unternehmerabgabe an.
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