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Kohl will Großdemo ignorieren

■ Das Wort „sozial“ löst im CDU-Unternehmerflügel Abwehrreflexe aus. Doppelte Mehrheit bei der EU gefordert

Bonn (taz) – Bundeskanzler Helmut Kohl will sich auf keinen Fall von der heutigen Großdemo in Bonn beeindrucken lassen. Vor dem CDU-Wirtschaftsrat, dem Unternehmerflügel der Union, versicherte er am Donnerstag abend, daß er am Sparpaket festhalten werde, auch wenn ein paar Hunderttausend gegen diese Politik auf die Straße gingen. Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble wurde noch deutlicher: „Das interessiert mich nicht, wieviel Leute demonstrieren.“

Es gebe keine Alternative zu den Sparbeschlüssen, meinten Kohl und Schäuble. Sie wurden von den Teilnehmern des Wirtschaftstages dafür gefeiert, daß sie den Eindruck vermittelten, die sozialen Einschnitte seien auch eine Art Allheilmittel gegen die Arbeitslosigkeit. In weiten Kreisen des CDU-Unternehmerflügels löst das Wort „sozial“ inzwischen Abwehrreflexe aus. Während sich alle Redner vehement für ein weiteres Zusammenwachsen der EU aussprachen, wurde die soziale Zusammenarbeit ausdrücklich ausgeklammert. Eine europäische Sozial- oder gar eine Beschäftigungsunion sei „ein gefährlicher Weg“, meinten einige.

Um so nötiger sei es dagegen, die Wirtschafts- und Währungsunion der EU sowie die politische Union auszubauen, notfalls auch ohne einige Mitgliedsländer. Was Schäuble und Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der CDU, vor zwei Jahren noch Kerneuropa nannten und wofür sie heftig kritisiert wurden, heißt jetzt „differenzierte Integration“. Danach können alle 15 EU-Regierungen überall mitreden, aber einige können auch beschließen, ohne auf die Zauderer warten zu müssen.

Der CDU-Wirtschaftsrat verlangt für EU-Mehrheitsentscheidungen die „doppelte Mehrheit“. Mit dieser Formel ist gemeint, daß bei Beschlüssen nicht nur die Mehrheit der Regierungen nötig ist, sondern daß diese Regierungen auch die Mehrheit der Bevölkerung repräsentieren müssen. Damit soll verhindert werden, daß 10 Millionen Belgier und Luxemburger mehr Gewicht haben als 80 Millionen Deutsche. Doch für diesen Ausgleich ist eigentlich das Europaparlament zuständig – wenn man ihm ausreichend Macht gibt. Alois Berger

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