: Kohl verschleiert Kosten der Einheit
■ West-SPD fordert Einbeziehung beider Parlamente in Entscheidungen über Deutsche Einheit / Esters: Kohl präsentiert die Rechnung für die deutsche Einheit erst nach den Bundestags-Wahlen am 2.12.90
Bonn (dpa) - Die Bonner SPD-Fraktion hat die Bundesregierung aufgefordert, den Bundestag und auch die neue Volkskammer nach deren Neubesetzung sofort in die Entscheidungsprozesse für die deutsche Einheit einzubeziehen. Nur dann könnten die Beschlüsse über die Wirtschafts- und Währungsunion verantwortlich getroffen werden, sagte der SPD -Haushaltsexperte Helmut Esters. Kritik übte er an Kohls „widersprüchlicher“ Öffentlichkeitsarbeit.
Die West-SPD fordert die Bildung von Kommissionen beider Parlamente, die die vielen Gesetze und den nötigen Staatsvertrag für die deutsche Einheit vorbereiten sollen. Die Abgeordneten dürften nicht mit Spekulationen über die Umtauschkurse abgespeist werden, sondern brauchten echte Informationen über das weitere Vorgehen beider Regierungen. Dazu hat die SPD jetzt zwei Kleine Anfragen an die Bundesregierung gerichtet.
Esters warf Kohl „Mißachtung“ des Parlaments und der freigewählten Repräsentanten der DDR vor, die er als „Statisten und Befehlsempfänger“ diskreditiere. Es sei beschämend, daß der Bundestag über die möglichen gesamtdeutschen Wahlvorgänge über eine Pressekonferenz des Kanzlers in Irland erfahren habe.
Esters äußerte sich überzeugt, die Bundesregierung werde voraussichtlich die finanziellen Kosten der deutschen Einheit in ihrem ganzen Umfang den Bundesbürgern erst nach der Bundestagswahl am 2. Dezember offenbaren. In diesem Sommer werde zwar bereits ein zweiter Nachtragshaushalt mit staatlichen Zuschüssen für Investitionen in der DDR vorgezeigt. Es sei aber zu erwarten, daß die gesamte soziale Anschubfinanzierung über die bundesdeutschen Sozialkassen abgewickelt werde. Trete der Bund dann nur als Bürge auf, würden diese Milliarden-Summen im Bundeshaushalt 1990 selbst nicht sichtbar. Das Hauen und Stechen - auch über die Lastenverteilung von Bund und Ländern - komme erst 1991. Ein erster Nachtragshaushalt sei dafür schon programmiert, sagte Esters. Kritik in der BRD
an 2:1-Vorschlag
Hamburg (dpa) - Weiterhin kritisch beurteilen Wirtschaftsexperten und Politiker den Vorschlag der Deutschen Bundesbank, bei einer deutsch-deutschen Währungsunion die DDR-Mark im Verhältnis 2:1 in D-Mark umzutauschen. „Schlicht für eine Illusion“ hält der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (Berlin), Lutz Hoffmann diesen Kurs. Damit die DDR-Bürger nicht am Rande des Existenzminimums lebten, müßte ein Ausgleich gezahlt werden, so daß „im Endergebnis doch wieder ein Verhältnis von 1:1“ herauskomme, so Lutz. Als völlig ausgeschlossen bezeichnete der DIW-Präsident, die DDR-Renten zum Kurs von 2:1 umzustellen.
Allerdings würde ein Kurs von 1:1 enorme Wettbewerbsprobleme für DDR-Betriebe bringen. Er könne sich nicht vorstellen, daß die Zahl der deshalb freigesetzten Arbeitnehmer „unter einer Million bleibt“, sagte Lutz.
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