: Kohl auf Duftsuche
Die Chemieschwaden von Schkopau erinnern Bundeskanzler Kohl bei seinem Besuch der Buna-Werke an seine Heimatstadt Ludwigshafen/ Außer Anekdoten hatte er den ArbeiterInnen wenig zu bieten ■ Aus Schkopau Tina Stadlmayer
Der Kanzler schien sich wohlzufühlen: „Hier habe ich den Duft der Chemie in meiner Heimatstadt Ludwigshafen in der Nase“, schwärmte er vor den ArbeiterInnen der Buna-Werke Schkopau. Er sei „ein Freund der Chemieindustrie“, verriet er der im Theatersaal versammelten Belegschaft, schließlich habe er „drei Jahre lang bei BASF gearbeitet“, um sein „Studium zu verdienen“.
Den von Entlassungen bedrohten ArbeiterInnen konnte er damit nicht imponieren. „Das hört sich alles schön und gut an“, sagte eine der Chemiarbeiterinnen nach Helmut Kohls Rede, „aber warum will er nicht mit uns diskutieren?“
Diskussionen waren beim Besuch des Kanzlers in der Chemieregion Schkopau nicht eingeplant. Stattdessen: Schöne Reden und eine von Sicherheitsbeamten abgeschirmte Tour durch das 920 ha große Werksgelände. Besonders gut gefiel es Helmut Kohl in der Halle für Kautschukproduktion. „Gummi stinkt nun mal“, entschuldigte sich einer vom Werksvorstand. Begeistert tappte der Kanzler mit den Fingern Löcher in einen großen weißen Kautschukwürfel. „Liefern Sie auch in die Sowjetunion?“ fragte er einen der Arbeiter. „Ja, das auch“, antwortete der leicht verschüchtert.
Weiter ging es mit dem Bus unter tropfenden Rohren hindurch, vorbei an verrosteten Fässern, Schutthalden und verrottenden Eisenbahnwaggons. „Ein Teil unserer neuen Anlagen ist genauso modern wie die von Hoechst“, berichtete der Führer dieser seltsamen Sightseeing-Tour. Leider habe die Karbid-Produktion vor zwei Jahren dichtgemacht werden müssen. Von den ursprünglich 20.000 Arbeitsplätzen sollen bis Ende dieses Jahres nur noch 8.000 übrig bleiben. „Wir setzen jetzt auf moderne PVC-Produktion auf Erdölbasis“, erklärte ein Werksvorständler dem Kanzler. Der nickte zufrieden. Auch Bundesumweltminister Töpfer — wie immer mit von der Partie im ökologischen Krisengebiet — hatte nichts dagegen einzuwenden.
Den Beschäftigten des Buna-Werkes ist logischerweise der eigene Arbeitsplatz zur Zeit wichtiger als der Umweltschutz. „Denkt an unsere Familien“, rief Rolf Hübetal vom Werksbereich PVC dem Kanzler und seinem Umweltminister zu. „Ich habe Sie gewählt, Herr Kohl, ich möchte ihnen mal die Hand schütteln.“ Zum Händeschütteln kam der Kanzler auch gerne mal rüber. „Jetzt lassen sie mich aber wieder schaffen gehen“, seilte er sich genauso schnell wieder ab. Dann konnte er den ArbeiterInnen doch nicht entgehen. „Wir wollen nicht zur verlängerten Werksbank der West-Chemie werden“, mahnte die Betriebsratsvorsitzende Ingrid Häusler in der Belegschaftsversammlung. An den Bundeskanzler und den Umweltminister appellierte sie: „Bitte enttäuschen Sie unser Vertrauen nicht!“
„Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit“, gab der Kanzler zurück. „Viele demonstrieren gegen Sie, ich bin hierhergekommen, um für die Entwicklung der Chemiestandorte zu demonstrieren“, rief er den ArbeiterInnen zu. Er habe „guten Grund zu der Annahme“, versuchte er die Bunaer ArbeiterInnen zu beruhigen, „daß der Industriestandort hier gerettet werden kann.“ Allerdings müsse das Werk „auf einen wettbewerbsfähigen Kern beschränkt werden“.
Wer gescheit sei, „und Unternehmer sind ja auch in der Regel gescheit“, witzelte der Kanzler, der wisse, „Investitionen in den neuen Bundesländern sind zukunftsträchtige Investitionen.“ Die Sowjetunion sei nach wie vor ein wichtiger Markt, nur „ist es im Moment schwierig, mit denen zu verhandeln“: Man wisse oft nicht, „ist die Sowjetunion zuständig oder die Russische Republik?“ In den nächsten Wochen werde er mit Präsident Gorbatschow über ein zur Zeit aktuelles Thema reden, verprach Kohl: „Die deutsche Bauindustrie muß beim Erstellen von Soldatenwohnungen der UdSSR beteiligt werden.“ Zum Schluß seiner Rede rief der Kanzler den ArbeiterInnen der Buna-Werke zu: „Sagen Sie den jungen Leuten in Ihrer Familie, daß sie sich um zukunftsträchtige Ausbildungsplätze kümmern sollen.“ Leise stöhnte eine der Arbeiterinnen: „Der hat gut reden, wo es doch sowieso kaum Lehrstellen gibt“. Doch das hörte der Kanzler nicht, an sein Ohr drang nur der höfliche Beifall nach seinem „für uns alle ein herzliches Glückauf“.
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