: Körper einer neuen Heimat
■ Das Tschechische Zentrum zeigt Filme von Marko Lakobrija, Mariola Brillowska und Mischa Bielicky
Im polnischen Gliwicz gibt es ein Lokal, in dem der Boden aus Beton gegossen ist, so daß am Morgen der ganze angesammelte Unrat der Nacht, alle Kotze, jeder ausgeschlagene Backenzahn und alles unter Saufbrüdern im Streit geflossene Blut, mit einem Gartenschlauch auf den Gehsteig gespült werden kann. Das ist der legendäre wilde Osten. Von Prag dagegen wird behauptet, es würde immer mehr die Züge eines San Francisco in der Blütezeit von Bay Area und Haight Ashbury annehmen. Das liegt am Eindringen des Westen. Und irgendwo dazwischen liegt wohl die Wahrheit über jene freundliche und rauhe Welt östlich der Oder und westlich der Elbe.
„Unterwegssein“ verspricht der erste Themenabend im Tschechischen Zentrum, und tatsächlich kommen fast alle Beatnikmythen wie Sex, Drogen und der Sinn des Lebens on the road zum Vorschein. In „Manastirka Ekspres – Die märchenhafte Reise der Pflaumen“, von Marko Lakobrija (und Charles Kissing) im Düsseldorfer Exil am Rhein realisiert, erinnert sich Oblomow wehmütig an die Zeit, in der noch die Destille den Lauf der Dinge bestimmte. Nicht Apathie, nur der melancholisch stimmende Duft des Pflaumenschnapses ruft ihm Bilder aus der Vergangenheit hervor, in der die Zeit vertrunken wurde. Wichtig ist dabei die richtige Dosis, die den benebelnden Geist der Pflaume vom komatösen Gesöff des Teufels trennt. Dann erst ist die Trinkergemeinde zum ausschweifenden Tanz bereit, der in seiner athletischen Grazie dem Kung-Fu ähnelt. Die meisten Bilder aber scheinen dem griechischen Mysterienspiel entlehnt, der Schauplatz ist in seiner kargen Architektur so archaisch gewählt, wie Jean-Marie Straub sich die umgebende Landschaft seiner Antigone vorgestellt hat. Doch der Tanz um den Pflaumenbaum ist mehr noch ein Ritus, der jede sinnbildliche Handlung überschattet. Als wäre der Slibowitz noch vor den Menschen dagewesen.
In den Zeichentrickfilmen von Mariola Brillowska bleibt in der Fremde nur Sex übrig. So erscheint Eryk das Leben im Exil leer und unerfüllt, bis er Lola kennenlernt und in ihrem Körper eine neue Heimat findet. Doch das Bett macht die Welt des Eryk zu einem noch kleineren Sexil. Lola ist Prostituierte, weshalb der Zeichnerin politisch eigentlich recht unkorrekt selten mehr als ein Busen, ein Loch in der Mitte, ein Auge und ein Mund für das Frauenbild ausreichen, alle Öffnungen im gleichen Rotton gehalten. Trotzdem könnte es im ersten Augenblick der Beginn einer federleichten Liebe werden, aber beide finden sich nur in der Arbeitsteilung: Er macht den Haushalt, sie versorgt sein Triebleben. Als Lola die Geschlechterbande mit einem Kind enger knüpfen will, sucht Eryk erneut das Weite: „Einst Domina, nun Spieler“, beklagt sich der Sexilant und ist wieder so einsam wie vor ihm nur Lucky Luke oder Mary Shelleys last man on earth.
Die Filme des Tschechen Mischa Bielicky sind hingegen streng der Videokunst verpflichtet, ohne sentimentale Verweise auf seine Übersiedlung in die Bundesrepublik ein Jahr nach dem Prager Frühling. Von frühen formalisierten Arbeiten wie „Four Seasons“, einer in vier Einzelmonitore zerlegten Bildröhre, auf der parallele Zeichen (roter Stuhl, Strumpfhose, Tomate) eine gemeinsame Grammatik ausbilden; über free- jazzend vertonte, stockende Bewegungsabläufe rund ums Ich (Circulus Viciosus) – bis hin zu jenem geschichtsträchtigen Dokumentarvideo mit Vilem Flusser, das kurz vor dessen Tod entstand.
Der Plauderton des geisteswissenschaftlichen Monologs verbindet sich mit Bildern aus Arkadien, während Flusser in der Rolle des Chronisten über die Geschichte der technischen Revolutionen im Zusammenspiel mit einer veränderten Gesellschaft zu berichten weiß: „Heute zeigt sich, daß die angeblich überholten Strukturen immer da waren.“ Harald Fricke
„Unterwegssein“, mit Filmen und Performance, heute um 20 Uhr im Tschechischen Zentrum, Leipziger Straße 60
Die Filme von Mischa Bielicky werden am Sonntag um 22 Uhr im roten Salon der Freien Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gezeigt; danach bis zum 16.6., tgl. 19 und 21 Uhr im Tschechischen Zentrum.
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