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Köln ist überall? Köln kann auch nur im Kopf sein. Und den sollte man nicht verlierenIn der rollenden Diskurskiste

Foto: Wolfgang Borrs

Erwachsen Martin Reichert

Wenn Deutschlands Talk­showpersonal ein Stückchen von der Rea­lität „draußen im Lande“ in den medialen Diskurs einzuspeisen sucht, greift es gern auf das berüchtigte Gespräch mit dem Taxifahrer zurück. Vom Flughafen zum Hotel, vom Hotel zum Studio. Das muss reichen.

Auch umgekehrt funktioniert das in der Regel ganz gut: Hat man genug vom derzeit ungewöhnlich durchgeknallten medialen Diskurs, geht man einfach ein bisschen vor die Tür. Oder fährt ein bisschen mit dem Bus oder der Bahn durch die Gegend, um zu gucken, ob die Welt noch steht.

Doof nur, wenn der mediale Diskurs plötzlich rückkoppelt, während man einfach so in der U-Bahn sitzt und Löcher in die Luft starrt. Und zwar so: „Hey du“, sagt der junge, angetrunken wirkende Mann zu dem ebenfalls jungen, mit einem Endgerät beschäftigten Mädchen gegenüber, „darf ich dich mal was fragen? Würdest du mal mit mir einen Kaffee trinken gehen?“

Schockstarre im Waggon. #Verunsicherung. Sollte man nicht genau jetzt die Notbremse ziehen? Die Polizei rufen? Zumindest den Sicherheitsdienst? Kurzes Profiling: weiß, Anfang zwanzig, Nordberliner, bildungsfern. Schon ein Grund, nicht die Notbremse zu ziehen? Oder erst recht? Oder wie?

Das junge Mädchen, kurz von ihrem Endgerät aufblickend, lehnt das Angebot freundlich, aber bestimmt ab. Abruptes Ende des Diskurses. Doch schon die nächste brenzlige Situation: Eine Gruppe junger Frauen betritt den U-Bahn-Waggon, steht nun dicht gedrängt unmittelbar vor uns. Und was macht der junge Problemmann? „Entschuldigung, die Damen. Ihre Handtaschen sind alle offen und genau vor meiner Nase. Ich könnte da jetzt einfach reingreifen und Portemonnaies und Handys klauen. Sie müssen aufpassen.“ Die jungen Frauen, offensichtlich nicht aus Berlin stammend, nahmen seinen Hinweis zwar erstaunt, aber freundlich entgegen.

Die Polizei hätte jetzt schon da sein können, wenn in ausreichender Personalstärke verfügbar. Aber offensichtlich hatte der junge Mann auch so alles ganz gut im Griff. Putzig. Unterwegs als eine Art Ein-Mann-Performance mit dem Motto „So klappt’s auch mit dem zweigeschlechtlichen Miteinander im öffentlichen Raum, herkunfts- und kulturunabhängig“?

Andererseits wandte er sich nun an mich: „Entschuldigen Sie, kennen Sie sich mit Rechten aus?“

Ab einem bestimmten Alter wird man von jungen Menschen nicht mehr nach Blättchen oder dem Weg zum Berghain gefragt, sondern wird als Rechtsbeistand oder Ratgeber in Lebensfragen in Anspruch genommen. Aber dies nur am Rande.

Im Verlauf des Gesprächs stellte sich jedenfalls heraus, dass der Jüngling just an diesem Tag aus dem Gefängnis entlassen worden war. Daher auch die Biere – zur Feier der Freiheit.

Nun hatte er jedoch ein ­Problem mit seinem Vermieter und Angst, seine Wohnung zu ­verlieren. Von der entfesselten Debatte rund um die Er­eignisse auf der Kölner Domplatte ­hingegen hatte er im Gefängnis gar nichts mitbekommen.

Beneidenswert.

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