Kochbuch von Autor Alexandre Dumas: Foodie im 19. Jahrhundert
Der Schriftsteller Alexandre Dumas war genusssüchtig und kochbegeistert. Sein „Wörterbuch der Kochkunst“ gibt Einblick in die Küche von 1870.
![Ein Kupferstich zeigt eine Frau und einen Mann in altertümlicher Kleidung in einer Küche Ein Kupferstich zeigt eine Frau und einen Mann in altertümlicher Kleidung in einer Küche](https://taz.de/picture/4336560/14/25701898-1.jpeg)
Als auf dem Höhepunkt der Corona-Selbstisolation in vielen Supermärkten die Hefe knapp wurde, hätte Alexandre Dumas helfen können. Das Wissen darum, „wie man mit Kartoffeln Hefe zubereitet“, hätte all denen, die sich nun aus Langeweile dem Backen widmeten, aus der Patsche geholfen. Und das ist nur einer von etlichen Zubereitungstipps in „Das große Wörterbuch der Kochkunst“.
Alexandre Dumas der Ältere, bekannt für „Die drei Musketiere“ und „Der „Graf von Monte Christo“, hatte das Manuskript für dieses Werk kurz vor seinem Tod im Jahr 1870 abgegeben, Vertraute von ihm überarbeiteten es. Aufgebaut hat Dumas es wie eine Art kulinarisches Lexikon, voll mit Rezepten, Anekdoten, seinen Meinungen und eindringlichen Anweisungen wie „Geben Sie, bei Gott, niemals Essiggurken in ein Kalbsleberragout.“
Dumas war Genießer, er pflegte einen luxuriösen Lebensstil, den er auch bei zwischenzeitlichen Geldnöten nicht aufgab. Um besser nicht in Geldnot zu geraten, schrieb er in irrem Tempo einen Text nach dem anderen: Abenteuerromane, Theaterstücke, Reiseberichte, ein gewaltiges Œuvre. Seinem kulinarischen Werk widmete er sich in den letzten beiden Jahren seines Lebens, die er im bretonischen Küstenörtchen Roscoff verbrachte.
Kochprojekte zum Ausprobieren bietet das „Wörterbuch“ zur Genüge – zumindest für Leute, die gern improvisieren und wenig Angst vorm Scheitern haben. Wer nämlich kochen will wie ein korpulenter Erfolgsschriftsteller vor mehr als 150 Jahren, hat gar keine andere Wahl. Temperaturen? Kochzeiten? Wie sollte Dumas das so genau wissen. Wie viele Menschen die Rezepte etwa sattmachen? Unklar.
Ohne Unterhitze, Oberhitze, Grillfunktion
Nur wenn Dumas vorschlägt, einen riesigen Kalbsbraten vom Nier- bis zum Schlussstück vorzubereiten, gibt er zu bedenken: „Man braucht allerdings eine ganze Menge Gäste, um das Stück richtig zu genießen, denn ein schöner Braten dieser Art wiegt kaum weniger als 12 bis 15 Pfund.“
So ist das „Wörterbuch“ ein kleiner Einblick in die Küche der Wohlhabenden und in die Kochpraxis des 19. Jahrhunderts. Ohne Unterhitze, Oberhitze, Grillfunktion, dafür mit der „roten Schaufel“ – laut Glossar ein langstieliges Eisen, das rotglühend erhitzt und dann etwa zum Bräunen der Delikatessen genutzt wurde. Die Rezepte sind reichhaltig, oft ein überbordendes Schwelgen in Tierischem, gern auch verschiedener Arten.
„Das Große Wörterbuch der Kochkunst“: Die jüngste deutschsprachige Auflage ist 2019 im Mandelbaum Verlag in einer Übersetzung von Veronika Berger erschienen. Sie hat 680 Seiten und kostet 48 Euro.
Eine französische Neuauflage des „Wörterbuchs“ ist 2008 unter dem Titel „Dico Dumas: Le grand dictionnaire de cuisine d’Alexandre Dumas“ erschienen. Dafür wurden einige der Gerichte von Spitzenköchen nachempfunden und fotografiert, auch die im Artikel erwähnte Aprikosencreme. Der Koch Stéphane Laurier hat zwar ihre Einfachheit beibehalten, aber der Creme dennoch ein wenig Honig zugegeben, um den Dottergeschmack etwas abzumildern.
Ein Beispiel: Für die zu Dumas’ Zeiten „moderne französische 'oille’“ gepriesen als „ein exzellentes Suppengericht, dessen Üppigkeit nicht erschreckt und durchaus bezahlbar ist“, bräuchte man einen Kapaun, zwei Filets von „Schafen, die auf Weiden voller Anis gehalten wurden“, zwei Rebhühner und zwei Cervelatwürste.
Acht Eigelb für zwölf Aprikosen
Dabei aß der vermögende Mensch im 19. Jahrhundert eines offenbar besonders gern: Eier, viele Eier. Oft werden zumindest einige Dotter benötigt. Das Rezept für Aprikosencreme etwa besteht zwar nur aus wenigen Zutaten, weder Butter noch Sahne – dafür kommen aber ganze acht Eigelb auf zwölf Früchte.
Ein Rezept für pochierte Eier, das Dumas aus einer Küchenenzyklopädie des 19. Jahrhunderts zitiert, war allerdings selbst ihm zu dekadent. Als Zutat wird nämlich der Fleischsaft von einem Dutzend am Spieß gebratenen Enten benötigt. „Zwölf Enten für fünfzehn Eier! Was sagen Sie dazu?“, schreibt er. Beim Lesen des „Wörterbuchs“ der Kochkunst überkommt einen aber auch die Erkenntnis: Alles kommt immer wieder.
So machte der Extremfrittierer Abel Gonzales 2008 auf der State Fair in Texas mit seiner Erfindung „Deep Fried Butter“ Furore – in Teig getunkten, dann in Öl ausgebackenen Butterstücken. Und bei Dumas? Dort finden wir ein Rezept für „Gebratene Butter aus dem Département Landes“: Eine Butterkugel wird dabei erst in drei verquirlten Eiern gerollt, dann mit Weißbrotbröseln paniert, bis die Eimasse verbraucht ist, und schließlich, von mehreren solcher Schichten umhüllt, knusprig gebraten.
Nein, es ist kein arterienfreundliches Kochen. Aber die Lektüre zeigt auch das Gesundheitsverständnis von Dumas, zum Beispiel, wenn dieser Erklärungen gibt, die sich an die Galen’sche Körpersaftlehre anlehnen: Zu alter Käse etwa erhitze durch seine Schärfe den Körper, er „erzeugt schlechte Säfte, stinkt und macht den Magen träge“.
Punsch und Karpfenfischer
Über Punsch dagegen hat Dumas Gutes zu sagen: Er bringe den von Kälte, Regen, Müdigkeit geplagten Kreislauf wieder in Gang, und „man kann mehrere Gläser davon trinken, ohne Schaden zu nehmen“. Den Punsch-Eintrag schmückt Dumas im „Wörterbuch“ auch mit einer seiner vielen Anekdoten aus – von einer denkwürdigen Party aus dem Jahr 1694.
Damals hatte der Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte bei einem Zusammensein gleich einen ganzen See aus dem Gesöff angelegt: „Man hatte aus Rosenholz ein kleines Boot bauen lassen, auf dem ein elegant gekleideter Schiffsjunge, der der englischen Flotte angehörte, auf dem Punsch hin und her fuhr, um den Gästen diesen zu kredenzen.“
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Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Allein für die Geschichten, die Dumas von seinen Reisen erzählt, lohnt sich die Lektüre – etwa von Karpfenfängen in Poti im heutigen Georgien („Eine seiner Schuppen reichte aus, um eine Fünf-Francs-Münze ganz zu bedecken.“). Oder von seiner Methode, unterwegs immer über ausreichend frische Butter zu verfügen (am Reisetag Milch in eine Flasche füllen, an den Pferdehals hängen und losreiten: „Wenn ich abends ankam, zerbrach ich den Flaschenhals und fand ein faustgroßes Stück Butter vor, das sich selbst erzeugt hatte.“).
Vor allem aber ist „Das Große Wörterbuch der Kochkunst“ eine Einladung zum Experimentieren. Obwohl es mit der Hefeherstellung aus Kartoffeln letztlich wohl doch nicht so einfach gewesen wäre: Wer hat schon die dafür benötigten „zwei Unzen Zuckerrübenmelasse“ zu Hause im Schrank?
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