Koch wartet ab: Ein Absturz ohne Aufprall
Hessens Ministerpräsident Roland Koch kämpft. Er zeigt sich sportlich, reumütig, geduldig. Die Angriffe der anderen Parteien helfen ihm.
Er schiebt sich mit seinen Leibwächtern durch die Kamerateams. Am Sonntagabend übers Parkett des Wiesbadener Landtags. Am Montagmorgen über den Steinfußboden im Foyer der Berliner CDU-Zentrale. Er wirkt konzentriert, beherrscht, er darf jetzt nicht die Nerven verlieren. "Dieses Ergebnis ist sehr schwierig", sagt Roland Koch. "Ob das lösbar ist, wird man sehen."
Ob er es überleben wird, wird man auch erst sehen. 12 Prozent hat der Ministerpräsident verloren, er ist gestürzt, aber er ist noch nicht aufgeschlagen.
Er befand sich im Fall am Sonntagabend, als der Landeswahlleiter, ein zurückhaltender Mann mit dem schönen Namen Hannappel, verkündet hat, dass zwar den zwei großen Parteien gleich viele Sitze im hessischen Landtag zustehen werden, dass jedoch die CDU mehr Stimmen bekommen hat als die SPD. 3.595 Stimmen sind es genau, ein knapper Vorsprung, aber er reicht Koch, um zu kämpfen.
Die Situation scheint auf den ersten Blick ungewohnt, denn eigentlich hat der 49-Jährige ein Gewinner-Leben hinter sich. Judo-Stadtmeister, Schulsprecher, Stadtverordneter. Es gab Siege ohne Gegner, wie bei der Jungen Union in seiner Heimat Eschborn, wo er mit 14 Chef wurde. Später hat er sich in der "Tankstellenconnection" von CDU-Halbstarken durchgesetzt, die sich auf hessischen Autobahnraststätten traf. Bei Wahlen siegte er mal überraschend wie 1999 und mal souverän wie 2003.
Die Momente, in denen Koch in Bedrängnis geriet, sind dagegen selten. Aber man kann aus ihnen etwas darüber lernen, wie er sich nun verhält. Und es offenbaren sich Parallelen im Krisenmanagement dieses Mannes.
Erst mit 32 Jahren kommt der erste Absturz. Es ist der Februar 1991, Koch führt erst ein paar Monate den Fraktionsvorsitz, da verliert Ministerpräsident Walter Wallmann von der CDU knapp die Hessen-Wahl. Danach will der bisherige Finanzminister ran. Manfred Kanther verlangt die ganze Macht in Partei und Fraktion. Koch will seinen Chefposten verteidigen. Die Tankstellenjungs mobilisieren gegen die alten Säcke. Es sieht nach einer knappen Sache aus, doch Kanther haut sie um. 30 zu 16 Stimmen, keine Chance für Koch.
Er hat die Niederlage akzeptiert, sich untergeordnet und das Kantherspiel gespielt. So wie er das Merkelspiel mitgemacht hat, seit klar ist, dass sie die Nummer eins in der CDU ist. Das wird er bei Andrea Ypsilanti nicht tun. Ihr Vize-Regierungschef - das wäre zu viel Gesichtsverlust für ihn, und das würde sie überhaupt nicht wollen. Aber er gibt sich ebenso sportlich wie nach den Niederlagen gegen Kanther und Merkel. "Respekt vor anderen Parteien und auch vor ihrem Zuwachs", hat er sie gelobt.
Respekt und Geduld - 1991 klappt das: Kanther bekämpft ihn nicht weiter. Es dauert nicht lange, da wechselt Kanther als Innenminister nach Bonn. Koch wird wieder die Nummer eins der CDU im Landesparlament.
Jetzt tut Koch erneut sportlich. Jetzt wartet er wieder.
Der zweite große Karriereunfall ereignet sich im Winter 1999/2000. Da steckt er als neuer Ministerpräsident mitten in der CDU-Spendenaffäre fest. Die Hessen-CDU hat Millionen auf schwarze Konten ins Ausland geschafft und mit Lügengeschichten von "jüdischen Vermächtnissen" getarnt. Ein Teil des illegalen Geldes floss in Kochs ersten Angstwahlkampf.
Der Angeklagte macht sich damals einfach selbst zum Aufklärer. Zum "brutalstmöglichen" gar. Und er zeigt sich wie ein reumütiger Bub und opfert den Weggefährten Franz Josef Jung, den heutigen Verteidigungsminister, der als Chef der Staatskanzlei zurücktreten muss. Dann wechselte er wieder in die Offensive - gegen die angebliche Maßlosigkeit von SPD und Grünen.
Auch daraus kann man lernen, wie Koch in schwierigen Situationen arbeitet: Er versammelt die CDU hinter sich, weil er so viele Angriffe hervorruft. Er überzieht - und zieht damit die Wut auf sich. Wenn er fällt, schmeißen ihm seine Gegner Häme hinterher. Gerade das stabilisiert ihn im eigenen Lager.
Am Montag vor den CDU-Gremien in Berlin gibt sich Koch als brutalstmöglicher Aufklärer seiner Niederlage. Teilnehmer berichten, dass er reumütig davon spricht, nicht nur ein blaues Auge zu haben. Sondern zwei. Aber die Sicht sei nicht völlig vernebelt. Er werde kämpfen, kündigt der Noch-Ministerpräsident an.
Koch gegen den Rest der Welt - so inszeniert er sich gerne. Auf einmal aber ist der Rest der Welt doch nicht die ganze, sondern nur die linke Welt. Selbst eigentlich gemäßigtere Parteifreunde müssen sich bekennen. Die Aufforderung dazu symbolisiert sein erster Auftritt am Sonntagabend: Als er vor den Kameras erscheint, stellt er sich auf die Bühne, neben sich seine Frau, Franz Josef Jung, die Landesminister. Wie eine Mauer stehen sie da.
Für oder gegen Koch? "Wir alle brauchen Roland Koch als hessischen Ministerpräsidenten", hat Christian Wulff am Montag gerufen. "Es gibt einen Regierungsauftrag für Roland Koch", hat Angela Merkel erklärt. Der Koch-Effekt. Er könnte ihm auch diesmal nützen, sich aus der Niederlage zu ziehen.
Er wird notfalls von Merkel Unterstützung verlangen. Vielleicht Geld für Neuwahlen. Vielleicht doch für einen Wechsel, bei dem er nach Berlin geht und Bundesverteidigungsminister Jung nach Wiesbaden. Volker Bouffier, Hessens Innenminister, der schon Jahre darauf wartet, endlich Regierungschef zu werden, darf jetzt eh keinen Mux tun. Helmut Kohl, der ihn als politischen Erben ansieht, wird ihm sowieso helfen.
Koch sagt, dass er erst einmal Ministerpräsident ist. Er sagt aber nicht, dass niemals ein anderer CDU-Politiker eine Regierung bilden wird. Er will flexibel bleiben. Keine Fehler machen. Die platte Wendung vom "politischen Überleben" stimmt bei Koch. Außer seiner Familie hat er nichts sonst.
"Solange es den Roland Koch in der Politik gibt, gibt es den, den sie kennen", sagt Koch am Montagmittag. "Und der wird in der Politik, glaube ich, noch einen Augenblick gebraucht."
Der Mann, der mal davon träumte, Kanzler zu werden, hält sich noch nicht für tot.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!